Auf der IAA Transportation in Hannover wird deutlich, dass die Automobilbranche, insbesondere im Nutzfahrzeugsektor, einen Paradigmenwechsel vollzieht. An den Ständen der Messe dominieren vollelektrische Lastwagen und Transporter. Die Hersteller stellen stolz ihre neuesten Batteriemodelle vor und laden die Öffentlichkeit zu Testfahrten ein. Christian Levin, der CEO von Scania, bemerkte optimistisch: „Wir sind jetzt bereit zu liefern.“ Auch Martin Daum, der Chef von Daimler-Truck, ergänzt: „2024 steht für uns ganz klar im Zeichen der Umsetzung.“
Obwohl der Elektro-Lkw an Fahrt gewinnt, bleiben die Verkaufszahlen zurückhaltend. Laut dem europäischen Herstellerverband Acea betrugen die Anteile neu zugelassener elektrischer Lkw im ersten Halbjahr 1,9 Prozent. Levin stellt fest, dass das Angebot an emissionsfreien Fahrzeugen vorhanden ist, aber es fehlen Anreize für die Kunden. „Ich wünsche mir von der Politik einen klaren Weg zur Kostengleichheit zwischen Elektro- und Dieselantrieben“, so Levin.
Investitionsbedarf beim Ladenetz
Ein weiteres erhebliches Hindernis auf dem Weg zur Elektromobilität ist das unzureichend ausgebaute Ladenetz. Daum beschreibt die aktuelle Situation als „großen Flaschenhals“ . Er betont die dringende Notwendigkeit, die Planungsprozesse für die Stromnetze zu beschleunigen: „Die Uhr tickt.“ Ein flächendeckendes Ladenetz erfordert massive Investitionen – eine Studie von PwC schätzt den öffentlichen Investitionsbedarf in Europa bis 2035 auf 6,1 Milliarden Euro. Darüber hinaus müssten Unternehmen etwa 28,6 Milliarden Euro für eigene Ladeinfrastruktur investieren.
Die Industrie steht vor der doppelten Herausforderung, sowohl in die Entwicklung neuer E-Lkw zu investieren als auch weiterhin in Dieselmodelle. MANs CEO Alexander Vlaskamp erklärt: „Über die gesamte Transformation wird daneben der Diesel-Antrieb bis zu seiner vollständigen Ablösung weiterhin eine wichtige Rolle spielen.“ Dies wirft die Frage auf, wie lange der Übergang dauern wird und wie Hersteller ihre Produktionslinien anpassen können, um sowohl Elektro- als auch Dieselantriebe bereitzustellen.
Herausforderungen bei der Nachfrage
Die Nachfrage nach Lkw und Kleintransportern fällt jedoch in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld. Im August brach der Nutzfahrzeugabsatz in Europa um 37 Prozent ein. Levin stellt fest: „Es gibt eine große Zurückhaltung in Deutschland.“ Die Kunden warten darauf, dass die deutsche Wirtschaft sich stabilisiert und die Zinsen gesenkt werden. Ähnlich äußert sich Carsten Intra, Chef von VW-Nutzfahrzeuge, der feststellt, dass das zweite Halbjahr 2023 herausfordernd wird. Daum prognostiziert für Anfang 2025 ebenfalls keine schnellere Erholung der Marktlage.
Die IAA Transportation zieht mehr als 1.650 Aussteller aus 41 Ländern an, und die Eröffnung findet im Beisein hochrangiger Politiker statt. Bundesverkehrsminister Volker Wissing und der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil nehmen an dem Event teil, während Vizekanzler Robert Habeck für den Mittwoch eingeplant ist. Die Messe dauert bis Sonntag, und es bleibt abzuwarten, ob die in Hannover präsentierten Innovationen und die Diskussionen um die Herausforderungen der Branche zu positiven Veränderungen führen werden. Viele Hersteller sind optimistisch, setzen jedoch gleichzeitig auf nachhaltige Lösungen wie Wasserstoffantriebe für spezielle Anwendungen, auch wenn diese bisher als Nischenlösung betrachtet werden.