Hannover (ots)
Die Diskussion um die Entkriminalisierung von bestimmten Vergehen gewinnt immer mehr an Bedeutung. Während einige Straftatbestände als notwendige Richtlinien für das soziale Verhalten angesehen werden, gibt es immer wieder Stimmen, die eine Abschaffung oder Legalisierung dieser Normen fordern. Es wird argumentiert, dass bestehende Gesetze oft nur die sozial schwächeren Gruppen treffen und nicht zur gewünschten Verhaltensänderung führen. Diese Diskussion wurde kürzlich in Hannover intensiviert, als sich Experten auf einer Rechtswissenschaftlichen Tagung über die Notwendigkeit und Auswirkungen von Entkriminalisierung austauschten.
Der Impuls für diese Veranstaltung kam aus dem Bundesministerium der Justiz, das einen Entwurf für die Modernisierung des Strafrechts zur Ressortabstimmung vorlegte. Somit finden diese Überlegungen auch Beachtung auf politischer Ebene. Der Schwerpunkt der Tagung lag auf der Untersuchung, welche spezifischen Straftatbestände überdacht oder gar abgeschafft werden sollten. Rund 60 Teilnehmer, aus Justiz, Polizei und akademischen Einrichtungen, kamen zusammen, um die verschiedenen Facetten dieses komplexen Themas zu ergründen.
Vielfältige Perspektiven der Experten
Frau Professorin Dr. habil. Heike Matthias-Ripke leitete die Sitzung und stellte die Herausforderungen der Entkriminalisierung heraus. Sie wies darauf hin, dass das Thema starke Emotionen weckt und verschiedene Meinungen aufeinanderprallen. Dr. Matthias-Ripke stellte die Schlüsselfrage: „Ist die Entkriminalisierung derzeit strafbarer Verhaltensweisen vertretbar, sinnvoll oder sogar geboten?“ Diese Frage bildete den Ausgangspunkt für die anschließenden Vorträge.
Professor Dr. Dr. Eric Hilgendorf lieferte eine umfassende Analyse aus der strafrechtlichen Perspektive. Er bat darum, die bestehenden Normen im Zusammenhang zu sehen, und betonte, dass nicht nur die Entkriminalisierung, sondern häufig die Ausweitung von Strafbarkeit im Mittelpunkt der rechtlichen Diskussion steht. Dieser sogenannte „Wettlauf der Strafrechtsnormen“ beleuchtet die ständige Verschärfung des Strafrechts.
Dr. Jana Zapf, Richterin am Oberlandesgericht Celle, beleuchtete die aktuellen Vorschläge zur Entkriminalisierung und erörterte die Sicht des Deutschen Richterbundes zu den damit verbundenen Auswirkungen. Sie wies darauf hin, dass viele der geforderten Änderungen in der Regel lediglich der Streichung von „toten Tatbeständen“ dienen.
Ein weiterer Beitrag kam von Dr. Daniela Klimke, die die Entwicklungen in der Gesellschaft und deren Einfluss auf die Gesetzgebung darlegte. Insbesondere wies sie auf den fragmentarischen Charakter des Strafrechts hin und warnte davor, jede Strafbarkeitslücke reflexhaft zu schließen. Ihre Ausführungen verdeutlichten, dass gesellschaftliche Werte und Überzeugungen maßgeblich zur Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen beitragen.
Strafe und Resozialisierung
Dr. Thomas Galli, ein Fachmann mit umfangreicher Erfahrung im Justizvollzug, bot eine kritische Perspektive auf den Strafvollzug und die Idee der Resozialisierung. Er stellte in Frage, ob die bestehenden Systeme zur Resozialisierung tatsächlich effektiv sind. Der Wunsch nach Vergeltung sei fest in der menschlichen Natur verwurzelt. Galli erklärte anschaulich, dass das neuronale Feedback, welches mit dem Gedanken an Bestrafung einhergeht, vergleichbare Areale im Gehirn aktiviert wie Gedanken an Vergnügen, wie etwa Schokolade.
Die Vorträge und Diskussionen an diesem Tag führten zu einem regen Austausch über die zukünftige Gestaltung des Strafrechts. Es wurde aufgezeigt, dass ein modernisiertes Strafrecht nicht nur den Bedürfnissen einer sich verändernden Gesellschaft gerecht werden sollte, sondern auch die zentralen Fragen der Gerechtigkeit und Fairness berücksichtigt. Die Tagung schuf eine wichtige Plattform für einen interdisziplinären Dialog, der auch in Zukunft fortgeführt werden soll. Die nächste Rechtswissenschaftliche Tagung der Polizeiakademie Niedersachsen ist bereits für das Jahr 2026 angesetzt.