Im Jahr 2004 wurde Neubrandenburg von einem schockierenden Verbrechen erschüttert, das viele Fragen aufwarf und bis heute im Gedächtnis der Ermittler bleibt. Der Mord an Jörn Scharlau, einem 34-jährigen Handy-Verkäufer, sorgte für großes Aufsehen. Am 30. August jenes Jahres verschwand Scharlau nach seiner Mittagspause spurlos, was zunächst als Entwicklungsphase eines Vermisstenfalls angesehen wurde. Die Umstände seines Verschwindens waren jedoch alles andere als gewöhnlich und führten zu einer mehrmonatigen Ermittlungsarbeit.
Olaf Hildebrandt, damals 38 Jahre alt und Erster Kriminalhauptkommissar der Neubrandenburger Kriminalpolizeiinspektion, war von Anfang an Teil des Ermittlerteams. „Eine Geschichte, die in Erinnerung geblieben ist“, so beschreibt Hildebrandt den Fall 20 Jahre später. Es war ein Moment, der das Leben vieler Menschen beeinflusste, von den Ermittlern bis hin zur Familie des Opfers.
Die Verstrickungen des Falls
Bald nach dem Verschwinden Scharlaus wurde sein Fahrzeug, ein weißer Renault Megane, mit Beschädigungen im Kotflügel und an der Felge am 17. September in Neustrelitz entdeckt. „Das war ein Knackpunkt“, erinnert sich Hildebrandt. Durch die unerklärlichen Umstände und das bemerkenswerte Verschwinden verdichteten sich die Hinweise auf eine Straftat. Die Ermittlungen nahmen an Fahrt auf, als Unstimmigkeiten bezüglich Scharlaus letzter Bekannten und familiäre Spannungen aufgedeckt wurden.
In der folgenden Zeit wurden mehrere Tatverdächtige ins Visier der Ermittler genommen. Die Polizei setzte eine umfangreiche Ermittlungseinheit ein, die das Geschehen genau überwachte. „Wir hatten eine große Gruppe von 10 bis 12 Polizisten“, erklärte Hildebrandt.
Ein zweites Verbrechen in den Niederlanden
Während der Ermittlungen geschah jedoch ein weiteres Verbrechen. Ein mutmaßlicher Komplize, der spätere Haupttäter, beging im Oktober einen Mord in Belgien, der das Risiko eines weiteren Mordes vergrößerte. Der 24-jährige Parchimer entführte einen Lokalpolitiker in Turnhout und ermordete diesen im niederländischen Katwijk. Diese Entwicklung war für die Ermittler alarmierend, da sie erkennen mussten, dass der Verdächtige eine unmittelbare Bedrohung darstellte.
Die Festnahme dieses Täters, bereits zwei Wochen nach der ersten Ergreifung des 23-jährigen Komplizen, stellte einen entscheidenden Punkt in den Ermittlungen dar. Hildebrandt resümiert: „Mit dem Haupttäter hatten wir einen ersten großen Erfolg, aber die Frage nach dem Verbleib von Jörn Scharlau blieb ungeklärt.”
Nachdem der Haupttäter gefasst wurde, gestand dieser, wo die sterblichen Überreste von Scharlau vergraben waren. Der Schock über die Umstände des Verbrechens wurde sofort spürbar. „Wir fuhren nach Lingen“, erinnerte sich Hildebrandt, „da war das Wetter regnerisch, aber wir mussten schnell handeln, um eine Spur zu nutzen.”
Doch die Suche erwies sich als schwieriger als gedacht. Der Haupttäter konnte zunächst nicht den genauen Ort finden, an dem die Leiche verborgen war. „Das war deprimierend für uns“, gibt Hildebrandt zu. Der Einsatz der Polizei dauerte mehrere Tage und setzte sich fort, bis schließlich der gesuchte Ort gefunden wurde.
Nach der Auffindung von Scharlaus Leichnam kam es zu einem großen Gefühl der Erleichterung für das Ermittlerteam. „Ein wichtiger Baustein“, wie Hildebrandt es formulierte, war das Auffinden der Überreste. Der Täter war damit bereit, sein umfassendes Geständnis abzulegen. Der Fall hatte eine dramatische Wende genommen.
Urteile und die Nachwirkungen
Im Frühling 2005 begann der Prozess gegen die Täter vor dem Neubrandenburger Landgericht. Der 23-Jährige wurde zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Sein Komplize erhielt ebenfalls eine lange Haftstrafe, während eine 20-jährige Komplizin, die als Teil der Tat galt, eine siebenjährige Strafe erhielt.
Mit der Verurteilung endete jedoch nicht die Diskussion über die damaligen Ermittlungen. Hildebrandt äußerte Bedenken, dass heutige rechtliche Vorgaben möglicherweise die Möglichkeiten der Polizei zur Verfolgung ähnlicher Sachverhalte erschweren könnten. „Das ist wesentlich schwieriger geworden“, so Hildebrandt. „Die, die ein Tötungsdelikt begangen haben, wissen oft, dass sie einen Pflichtverteidiger haben, der rät, nicht mit der Polizei zu sprechen.”
Der Fall Jörn Scharlau bleibt ein düsteres Kapitel in der Geschichte der deutschen Kriminalistik, das aufzeigt, wie weitreichend die Auswirkungen eines Verbrechens sein können – für die Betroffenen und die Justiz. Spätestens 20 Jahre später wird die Erinnerung lebendig bleiben, die ermittelnden Beamten und die Gerichte lange verfolgen wird. „Ein schrecklicher Fall“, sinniert Hildebrandt, „der einfach für immer im Gedächtnis bleibt.”