. Language: German. Title: „““»Gefühle werden nicht dement«“““ Given Information: „““
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Stand: 19.09.2024, 21:07 Uhr
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»Simon, das Baby und der Herr Alzheimer« heißt das Buch von Melanie Diana Ruhrmann-Petri, mit dem sie auf die »Krankheit mit den vielen Gesichtern« aufmerksam macht. © STEVENS
Mit ihrem Kinderbuch »Simon, das Baby und der Herr Alzheimer« rückt Melanie Diana Ruhrmann-Petri die »Krankheit mit den vielen Gesichtern« in den Fokus. Damit möchte die Autorin Verständnis schaffen: für Erkrankte, Angehörige und vor allem die jüngere Generation.
Wenn Melanie Diana Ruhrmann-Petri morgens das Haus in Dorn-Assenheim verlässt, hat sie zwei Koffer dabei: einen mit ihrer Gitarre und einen mit ihren Rhythmusinstrumenten. Die zusätzliche Last wird sodann im Seniorenheim in Bad Nauheim ausgepackt. Dort wird gemeinsam musiziert – mit Menschen, die mitunter Einbußen haben: bei der Gedächtnisleistung, beim Orientierungs- und Urteilsvermögen, bei den kognitiven und sozialen Fähigkeiten.
Als Krankheit mit vielen Gesichtern ist sie bekannt: die Demenz. Manche sprechen auch von Alzheimer. Während Demenz ein Oberbegriff ist, ist Alzheimer eine Form der Demenz. Somit ist nicht jede Demenz Alzheimer. Allerdings ist Alzheimer die häufigste Demenzform.
Verständnis des Umfeldes gefragt
Im Alltag fallen Demenzkranke nicht immer positiv auf: »Manche Menschen stehen im Bademantel beim Bäcker und bestellen zum fünften Mal Brötchen«, erklärt Ruhrmann-Petri. Dabei sei gerade in solchen Situationen – neben einer frühzeitigen Diagnose – Verständnis wichtig.
Genau hier setzt Ruhrmann-Petri mit ihrem Kinderbuch »Simon, das Baby und der Herr Alzheimer« an. Darin geht es um eine Familie mit zwei Kindern, die in ihrem Haus auch den Opa beherbergt. Das ist manchmal schön, aber manchmal auch anstrengend – denn der Opa leidet an Alzheimer. So kommt es immer wieder zu kuriosen Situationen, wenn der Großvater mal wieder seine Schuhe in den Kühlschrank stellt oder sich den Teller mit Nudeln samt Tomatensoße über den Kopf leert.
Dann stellt sich der fünfjährige Simon ein älteres, kleines Männchen vor, das seinem Großvater Dinge aus dem Kopf klaut. Auch Leni, Simons jüngere Schwester, stellt Opas Schuhe in den Fernsehschrank und wirft die Nudeln mit Tomatensoße auf den Boden.
Während die Aktionen der kleinen Schwester zumeist für Erheiterung sorgen, sind die Reaktionen auf den Opa eher von Ärger geprägt. Und während die kleine Schwester von Tag zu Tag neue Fähigkeiten erlernt, verliert der Opa nach und nach scheinbar selbstverständliche Fertigkeiten aus dem Gedächtnis.
Als dreifache Mutter hat die Autorin versucht, ihren Kindern zu erklären, warum sie sich morgens mit Musikinstrumenten ausgestattet auf den Weg macht. Das so entstandene Manuskript wollte sie ursprünglich der deutschen Alzheimerstiftung zukommen lassen – etwa als Broschüre für Angehörige. Erst später kam ihr der Gedanke, ein Buch zu schreiben.
Weil der Zufall es wollte, wurde die Inhaberin eines kleinen österreichischen Verlags auf Ruhrmann-Petri aufmerksam. Erstere hat selbst einen Großvater, der an Alzheimer erkrankt ist, und möchte wiederum ihren Kindern dessen Verhaltensänderungen verständlich machen.
Wichtig ist der Autorin dabei, dass die an sich schlimme Krankheit in eine leichte Geschichte verpackt ist. Anhand der Bilder der Illustratorin Bibi Hecher und der Sprache sollen Kinder die Erkrankung verstehen, ohne deren komplette Tragweite zu begreifen. »Früher sprach man von Menschen, die halt ›deppert‹ geworden sind, heute weiß man es zum Glück besser«, erzählt Ruhrmann-Petri und verweist darauf, dass viel über Diversität und Inklusion gesprochen werde, diese Menschen aber oft vergessen würden.
Gitarrenspiel bewirkt Wunder
Sie erinnert sich an ihre ersten Einsätze im Seniorenheim, damals noch als ehrenamtliche Vorleserin. Aber Demenzpatienten vorzulesen, habe für sie nicht funktioniert. So nahm sie ihre Gitarre mit, obwohl »ich eine grottenschlechte Gitarristin war und nur zehn Akkorde spielen konnte«, und sang. »Die Leute haben mitgesungen und die Pfleger geweint.« Die Tränen waren nicht ihrer gesanglichen Darbietung geschuldet, sondern der Tatsache, dass manche der Senioren seit Jahren kein Wort mehr gesprochen, aber kräftig mitgesungen hätten.
So kam es auch, dass Ruhrmann-Petri ihren Job als Reiseverkehrskauffrau gegen ein Studium der Musikgeragogik tauschte und ihren beruflichen Alltag komplett umstrukturierte. Aus dem Ehrenamt wurde ein Hauptamt, aus den zehn Akkorden mehrere Töne, die gleichzeitig zusammen gespielt werden.
Zudem widmet sich Ruhrmann-Petri ihren schriftstellerischen Ambitionen: Neben dem Kinderbuch steht die Veröffentlichung einer Kurzgeschichte für Erwachsene an, ein weiterer Kinderroman ist in Arbeit. Mit ihrem jetzigen Buch geht ein Wunsch und eine Botschaft einher. Melanie Diana Ruhrmann-Petri hofft, dass in 20 Jahren niemand mehr das Buch braucht und betont: »Gefühle werden nicht dement und gehen nicht vergessen.«
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