Am Tag der Deutschen Einheit feierte die evangelische Johannesgemeinde in Gießen einen besonderen Gottesdienst, unter dem Motto „Hoffnung“. Die Lithurgie übernahm Gottfried Cramer, da Pfarrer Michael Paul verhindert war. Dies ist mittlerweile eine Tradition, dass ein Gast mit persönlichem Bezug zu den historischen Ereignissen der Wendezeit die Predigt hält. In diesem Jahr fiel diese ehrenvolle Aufgabe Hildigund Neubert, einer Zeitzeugin aus Limlingerode im Harz.
Neubert, Tochter des ehemaligen Erfurter Propstes Heino Falcke, blickte in ihrer Ansprache auf die Ereignisse von 1989 zurück. Sie wuchs in der DDR in einem christlich geprägten Umfeld auf, musste jedoch auch den Druck linientreuer Lehrer ertragen. In den 1980er-Jahren wurde sie aktiv in der Bürgerrechtsbewegung und gehörte mit ihrem Mann, dem Pfarrer Ehrhart Neubert, zu den Gründern des Demokratischen Aufbruchs. Diese Erfahrungen prägten ihre Sicht auf Hoffnung.
Hoffnung im Angesicht der Krisen
Neuberts Predigt trug den Titel „Woher wir die Hoffnung nahmen und nehmen“. Die Botschaft war klar: Wer die Unterdrückung und Unfreiheit der DDR erlebt hat, könne nicht ohne Hoffnung sein. Sie zog Parallelen zu den Ängsten der Menschen in der Antike, als die Apokalypse nahe schien. Diese Verzweiflung sehe man auch heute, wo Krisen auf Krisen folgen und die Medien berichten. „Immer wieder die gleichen alten Antworten wie Krieg, Nationalismus und Naturausbeutung“, so Neubert.
Sie erinnerte sich an die 1980er-Jahre, als strikte Ideologien dominierend waren. „Es war eine Zeit der hoffnungslosen Erstarrung“, sagte sie. Doch viele Menschen begannen, sich mit dem Werk Martin Luther Kings auseinanderzusetzen. „Jesus war ein cooler Typ“, so der alte Spruch. Diese Denkweise führte zu einem neuen Lebensgefühl und drängte immer mehr Menschen dazu, den unpolitischen Raum zu verlassen.
„Dona nobis pacem – Gib uns Frieden!“, war ein zentraler Gedanke ihrer Ansprache. Der Gewaltverzicht vor der Wende habe eine transformative Kraft entfaltet, die zur friedlichen Revolution führte. Dennoch merkte Neubert an, dass viele Wünsche in der Nachwendepolitik unerfüllt blieben und das „Ende der Geschichte“ noch nicht erreicht sei. Sie sprach die tief verwurzelten, autoritären Muster an, die im deutschen Bewusstsein präsent seien, und warnte, dass durch Wahlen erneut „den Falschen zur Macht verholfen“ werden könnte.
Hoffnungszeichen und die Zukunft
Trotz ihrer Bedenken fand Neubert auch „Hoffnungszeichen“ in ihrer Umgebung, die sie zuversichtlich stimmten. Ihre Hoffnung speise sich aus der Bibel, der Kirchenerfahrung und den Lehren aus ihrem eigenen Leben. Abschließend wurde der Gottesdienst mit den Hymnen „Wind of Change“ und „I’ve been looking for freedom“ umrahmt, die für viele das Gefühl des Wandels symbolisieren.
Diese Veranstaltung ist nicht nur ein Rückblick auf die Geschichte der DDR, sondern auch eine Mahnung, sich an die Bedeutung von Hoffnung zu erinnern im Angesicht von Herausforderungen. Der Gottesdienst war sowohl eine Ermutigung als auch ein Aufruf, sich für Frieden und Gerechtigkeit stark zu machen, in der Überzeugung, dass Hoffnung selbst in dunklen Zeiten lebendig bleibt.
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