Am 21. Oktober 2024 hat das Landgericht Lübeck in einem bemerkenswerten Urteil klargestellt, unter welchen Umständen der Zustand eines Gehwegs als verletzend für die Verkehrssicherungspflicht zu werten ist. Der Fall drehte sich um einen Unfall, der sich Ende September 2021 auf einem Gehweg in der Holstenstraße ereignete, als ein Mann über eine Gehwegplatte stürzte, die um 2,5 cm herausragte.
Der Kläger argumentierte, dass der Höhenunterschied so signifikant sei, dass er ihn nicht erwarten oder rechtzeitig erkennen konnte. Zudem wies er darauf hin, dass dieser Bereich stark frequentiert ist und somit besondere Sicherheitsanforderungen bedarf. Das Gericht sah dies jedoch anders und urteilte, dass die Verantwortung des Straßenbaulastträgers nicht ohne Weiteres aus einem solchen Umstand hergeleitet werden kann.
Verkehrssicherungspflicht und Verantwortlichkeiten
Das Gericht stellte fest, dass gemäß § 10 StrWG-SH (Straßen- und Wegegesetz des Landes Schleswig-Holstein) der Straßenbaulastträger dazu verpflichtet ist, die Straßen in einem Zustand zu halten, der den Bedürfnissen des Verkehrs entspricht. Hierbei sind auch die Bedürfnisse älterer Menschen zu berücksichtigen. Diese gesetzliche Regelung bedeutet jedoch nicht, dass ein Gehweg immer vollkommen einwandfrei sein muss.
Vielmehr wird die Verkehrssicherheitsverantwortung anhand der Nutzungshäufigkeit und der Bedeutung des Gehwegs bestimmt. Das Gericht hob hervor, dass der Benutzer eines Gehwegs Verantwortung trägt, sich an die gegebenen Verhältnisse anzupassen und eventuelle Gefahren rechtzeitig zu erkennen.
Beeindruckend war die Feststellung, dass der Kläger in seiner Schilderung des Vorfalls unklare und gegensätzliche Angaben machte. Anfangs behauptete er, über unebene Gehwegplatten gestolpert zu sein, doch die vorgelegten Fotos zeigten keinen klaren Höhenunterschied. Später variierte er seine Schätzung des Höhenunterschieds von 1,0 bis 2,5 cm, was das Gericht als zu ungenau erachtete, um eine objektive Einschätzung der Umstände zu ermöglichen.
Obwohl das Gericht auch den zugrunde liegenden Höhenunterschied von 2,5 cm als eventuell hinnehmbar ansah, stellte es fest, dass unter den gegebenen Umständen kein pflichtwidriger Zustand vorlag. Eine Haftungsübernahme setze voraus, dass eine Gefahr unerwartet und nicht rechtzeitig erkennbar sei.
Zusätzlich wurde gewürdigt, dass die Holstenstraße eine der Hauptverkehrsstraßen in Lübeck darstellt. Dennoch wies das Gericht darauf hin, dass eine hohe Frequentierung nicht automatisch zu strengen Sicherheitsanforderungen führt, insbesondere wenn keine klaren Hinweise auf eine Gefahrenlage seitens des Klägers erbracht wurden.
Das Gericht machte auch deutlich, dass die Instandhaltung des Gehwegbereichs nach dem Unfall kein Beweis für eine vorherige Pflichtwidrigkeit darstellt. Die Reparatur der Gehwegplatten sei ein normaler Teil der Erfüllung von Verkehrssicherungspflichten, und der Zustand vor dem Vorfall könne somit nicht allein aufgrund dieser Maßnahmen als fehlerhaft eingestuft werden.
In diesem Fall war das Ergebnis eindeutig: Der Kläger hatte keinen Anspruch auf Schadenersatz gegenüber der Hansestadt Lübeck, da keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch den Straßenbaulastträger festgestellt werden konnte.
Für eine tiefere Einsicht in die rechtlichen Aspekte und die Entscheidung des Gerichts siehe den Artikel auf www.versicherungsjournal.de.