Die Gedenkveranstaltung zum Juden-Pogrom vom November 1938 in Gießen wurde von den erschütternden Vorfällen in Amsterdam überschattet. Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher sprach klare Worte und erinnerte an die düstere Geschichte, während die Stimmen der Vergangenheit über den Rathausvorplatz hallten. Shimon Großberg, Rabbiner der Jüdischen Gemeinde, hatte es schwer, gegen den Lärm der Umgebung anzukommen, als er das Totengebet sprach. Trotz der Störungen war die Gedenkstunde, die von der Stadt, der jüdischen Gemeinde und den christlichen Kirchen organisiert wurde, ein wichtiger Moment des Gedenkens.
Die Teilnehmerzahl an der Gedenkveranstaltung hat in den letzten Jahren zugenommen. Während früher nur wenige Zuhörer kamen, waren es im vergangenen Jahr etwa 300 und am vergangenen Samstag schätzungsweise 200 Menschen, die trotz des Ausgehabends erschienen. Dies ist eine direkte Reaktion auf die schockierenden Ereignisse des 7. Oktober 2023, als palästinensische Terrormilizen in Israel brutal zuschlugen und rund 1200 Menschen töteten. Diese Gräueltaten führten zu einem Anstieg des Antisemitismus in Europa, mit Amsterdam als neuem Brennpunkt, wo Fans der israelischen Fußballmannschaft Maccabi Tel Aviv von pro-palästinensischen Aktivisten verfolgt wurden.
Erinnerung an die Vergangenheit
Die Redner der Gedenkveranstaltung, darunter Pfarrer Gabriel Brand, erinnerten an die schrecklichen Ereignisse des 10. November 1938, als die Synagogen in Gießen in Flammen aufgingen. Brand kritisierte das Erstarken von Rechtspopulisten und Extremisten und zog Parallelen zu den aktuellen Geschehnissen in den Nachbarländern. Oberbürgermeister Becher stellte klar, dass die Gründung Israels untrennbar mit dem Holocaust verbunden sei und appellierte an die Zuhörer, die Realität zu erkennen. Er stellte die Frage, was von einem Land zu erwarten sei, das von allen Seiten angegriffen wird, und betonte die dramatischen Dilemmata, mit denen Juden konfrontiert sind.
Die Gedenkveranstaltung endete mit einer Lesung von Dokumenten über die Entrechtung der Juden durch Schüler des Landgraf-Ludwigs-Gymnasiums und einem Kranz niedergelegt von Becher und Stadtverordnetenvorsteher Joachim Grußdorf am Gedenkstein für die Opfer der Naziherrschaft. Ein Mahngang durch die Innenstadt, organisiert von verschiedenen Gruppen, zog ebenfalls mehr als 200 Teilnehmer an, die unter dem Motto „Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg“ für eine bessere Zukunft eintraten.