Die Zäsur des Jahres 1949 steht im Mittelpunkt des neuen Dokumentarfilms „1949 in Ost und West“, der eine ergreifende Inszenierung der Lebensrealitäten zweier Familien bietet, während Deutschland am Rande seiner Teilung steht. An einem Tag, der für viele Deutsche wegweisend sein wird, verabschiedet sich am 23. Mai 1949 das Grundgesetz in Bonn, während in Bremen das alltägliche Leben in alle Widersprüche und Herausforderungen verstrickt ist.
In Petriroda hingegen scheint die Zeit stillzustehen. Dort, am 7. Oktober 1949, dem Gründungstag der DDR, schaffen die Menschen aus Strohsäcken eine Matratze. Diese Kontraste zwischen den Erlebnissen im Westen und Osten veranschaulichen die unterschiedlichen Weichenstellungen, die die Historie prägen werden. Der Film folgt den beiden Protagonistinnen Maria Bastille und Jördis Krey, die sich auf eine persönliche Spurensuche begeben, um das Leben ihrer Vorfahren zu verstehen.
Alltagskämpfe im Nachkriegseuropa
Die Doku öffnet mit den Erinnerungen von Jördis Kreys Großmutter, Ingrid Thiele. Zu dieser Zeit gibt es Wasser nur zu bestimmten Zeiten, und das Schulgeld muss noch mühsam bezahlt werden. Der Tausch von Schmuck gegen Stoff ist ein verzweifelter Versuch, ein angemessenes Kleid für die Konfirmation von Ingrid zu organisieren. Fazit: Alltägliche Sorgen prägen das Leben in den verschiedenen Besatzungszonen – sowohl im Osten als auch im Westen Deutschlands.
Parallel dazu kämpfen auch Käte und Heinrich Krebs, Maria Bastilles Großeltern, in der kleinen thüringischen Gemeinde von Petriroda mit ihren neuen Lebensumständen. Als Flüchtlinge aus Schlesien ist ihr Alltag geprägt von der Suche nach Wohnraum und der Zukunft. Käte, die im Geheimen schwanger ist, muss die frisch gegründete Gemeinschaft vor Herausforderungen bewahren, während ihr Vermieter bereits Pläne schmiedet, das kleine Zimmer neu zu vergeben.
Familiengeschichten und die Suche nach der Wahrheit
Für Maria und Jördis geht es darum, die Geschichten ihrer Großeltern auf eine neue Weise zu begreifen. Sie befragen Familienmitglieder, entschlüsseln vergilbte Briefe und besuchen Archive, um die täglichen Kämpfe und Hoffnungen ihrer Vorfahren zu verstehen. Durch die Wiederentdeckung der Vergangenheit entwickelt sich ein tiefes Verständnis für die mutigen Entscheidungen, die ihre Vorfahren trafen. Die Suche nach Antworten führt sie zu essenziellen Fragen: Furchteten sich ihre Großeltern vor einem neuen Krieg? Wie können Vollwaisen nach solch schweren Verlusterlebnissen Zeugnisse von Glück und Hoffnung zeigen? Und was hielt die Menschen im Osten davon ab, in den Westen zu gehen?
Der Film führt die Zuschauer zurück zu den Anfängen vieler Träume und Bestrebungen, die mit dem bevorstehenden Bruch der Nation verknüpft sind. In der emotionalen Erzählweise wird klar, dass der Kampf um das tägliche Überleben oft genug mühevoll war, und die Frauen in diesen Familien durch Entbehrungen und Rückschläge ihre Resilienz unter Beweis stellen mussten. Schließlich zeigen sie bei der Suche nach Essen, Geld und Wohnraum, wie sie auch in der ärmsten Zeit ein neues Zuhause schufen.
„1949 in Ost und West“ ist eine Aufarbeitung, die nicht nur persönliche, sondern auch kollektive Erinnerungen wachruft. Diese Dokumentation thematisiert nicht nur die individuellen Schicksale, sondern gibt durch die detaillierte Aufarbeitung der Aktenlage und historischen Dokumente einen Eindruck von der deutschen Geschichte vor 75 Jahren. Es ist mehr als nur eine Familiengeschichte; es ist ein Blick auf die einheitliche menschliche Erfahrung in schwierigen Zeiten.
Diese Produktion ist eine Kooperation von Kinescope Film, Radio Bremen, MDR, BR sowie NDR und wird 2024 auf Das Erste ausgestrahlt.