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Nachwuchsförderung im Fußball
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Kosten und Nutzen einer U23: Die ungleichen Wege von Hertha, Union und Energie Cottbus
Mi 18.09.24 | 11:59 Uhr | Von Fabian Friedmann
Bild: IMAGO / Metodi Popow
Die meisten deutschen Profiklubs leisten sich eine U23, manche verzichten darauf. Warum das so ist und welche Konzepte es gibt, machen die drei Profi-Vereine aus der Region deutlich. Von Fabian Friedmann
Es ist März 2014. Unter den sportlichen Leitern der Bundesliga-Vereine ist eine richtungsweisende Diskussion entbrannt. Sollte man die U23-Mannschaften auflösen, damit der Fokus noch mehr auf die Jugendmannschaften gerichtet werden kann, um deren Spieler gezielter an die Bundesliga heranzuführen? Leverkusens damaliger Sportdirektor Rudi Völler vertritt einen klaren Standpunkt: „Wir mussten erkennen, dass unseren Toptalenten der Sprung in die Bundesligamannschaft nicht über eine zweite Mannschaft in der vierten Liga gelingen kann“, sagte er damals dem Sportinformationsdienst.
Keine Diskussion für Hertha BSC
Die Mitgliederversammlung des Ligaverbandes stimmt einem Antrag von Bayer 04 zu. Es eröffnet die Möglichkeit, dass Bundesligisten ihre 2. Mannschaften vom Spielbetrieb abmelden dürfen. Eintracht Frankfurt folgt dem Antrag. In den folgenden Jahren lösen auch der 1.FC Union, RB Leipzig und der VfL Wolfsburg ihre U23 auf. „Ich kann mich noch gut an die Diskussion, die damals in der Liga aufkam, erinnern“, sagt Benjamin Weber, heutiger Sportdirektor von Hertha BSC und damaliger Leiter der blau-weißen Nachwuchsabteilung: „Für uns stand es aber nie zur Diskussion.“
Nicht nur die erfolgreiche Förderung von Talenten bei Hertha BSC, sondern auch der aktuelle Trend stützt den Standpunkt von Benjamin Weber. Eintracht Frankfurt hat seit zwei Jahren wieder eine U23. Für die laufende Saison meldete Bundesligist VfL Bochum ebenfalls eine neue 2. Mannschaft. Weitere Klubs denken darüber nach.
Aber wozu brauchen Profi-Vereine eine U23? Welche Rolle spielt sie in der Nachwuchsförderung? Was kostet das die Klubs, welche Spieler profitieren, und warum verzichtet der 1. FC Union nach wie vor bewusst auf eine zweite Mannschaft?
Besserer Übergang für den Nachwuchs zu den Profis
„In erster Linie muss sie den Übergang vom Jugendfußball in den Männerfußball sicherstellen“, betont Benjamin Weber. Für Hertha BSC ist die eigene U23 keine zweite Profimannschaft. Vielmehr wird sie als höchste Ausbildungsmannschaft angesehen und gehört damit zum Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) des Vereins. Deswegen sei es wichtig, dass es einen engen Austausch zwischen Profimannschaft und der Akademie gebe, „weil nur so kannst du die Mannschaft auch sinnvoll und zielgerichtet nutzen, um deinen talentierten jungen Spielern früh Männerfußball zu ermöglichen“, erklärt Weber.
Zahlreiche Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit unterstreichen den Erfolg dieses Konzepts. Die Liste der Spieler, die über das NLZ beziehungsweise die U23 den Sprung in die erste Mannschaft geschafft haben, ist lang. 14 Spieler des aktuellen Zweitligakaders kommen aus dem eigenen Nachwuchs. Viele davon gingen den Zwischenschritt über die „Hertha Bubis“ wie etwa Pascal Klemens, Marton Dardai oder Derry Scherhant – auch wenn sie auf den ersten Blick zeitweise nur in der vierten Liga gespielt haben.
Die Regionalliga Nordost ist eine attraktive Bühne für junge Spieler, in der sie lernen mit viel Zuschauer- und Tabellendruck umzugehen.
Benjamin Weber, Sportdirektor Hertha BSC
Perspektive für Hertha-Talente mit Entwicklungspotenzial
Doch für Benjamin Weber ist die Regionalliga Nordost eine „attraktive Bühne für junge Spieler, in der sie lernen, mit viel Zuschauer- und Tabellendruck umzugehen“, wo man Talente gut entwickeln kann, um sie auf den Profifußball vorzubereiten, weshalb Herthas Sportdirektor auch die sportliche Wichtigkeit des dortigen Klassenerhalts betont.
In der vergangenen Saison hatte dies nicht so gut funktioniert. Hertha II hing lange im Tabellenkeller fest. Das Team musste um den Ligaverbleib bangen, was aber personell auch darauf zurückzuführen war, dass viele Jugendspieler wie Pascal Klemens, Ibrahim Maza oder Bence Dardai direkt den Sprung zu den Profis geschafft hatten.
Die Regel ist das allerdings nicht, weshalb Herthas „Reserve“ den Talenten zunächst einmal eine Perspektive geben soll. Spieler, die im letzten Jahr in der U19-Bundesliga auflaufen, allerdings noch Entwicklungszeit benötigen, bleiben dem Verein so erhalten und dürfen sich ein bis zwei Jahre im Regionalliga-Wettbewerb beweisen und entwickeln. Gäbe es die U23 nicht, müssten die jungen Spieler, die es nicht direkt in den Profibereich schaffen, verliehen werden oder den Verein ganz verlassen.
Andrich und Mittelstädt als prominente Bubis
Es gibt zahlreiche prominente Spieler, die den Umweg über Herthas U23 genommen haben und anschließend den sportlichen Durchbruch schafften. Bis 2018 verzeichnete Maximilian Mittelstädt 24 Einsätze für Hertha II. Fünfeinhalb Jahre später ist er Nationalspieler und im EM-Kader von Julian Nagelsmann. Nationalmannschaftskollege Robert Andrich hat sogar 52 Spiele für Herthas U23 in seiner Vita stehen. Nach Umwegen über Dresden, Heidenheim und Union ging es für den „Spätstarter“ nach Leverkusen, wo er sich zum Deutschen Meister küren konnte.
Ein wichtiger Baustein für die U23 beim Heranführen an den Männerfußball ist laut Weber der Wettkampfmodus in der Liga. Stimmen, die nach einer eigenen Spielklasse für Zweitvertretungen der Profiklubs rufen, wie das bereits in England oder den Niederlanden der Fall ist, erteilt Benjamin Weber eine Absage, „weil die Spieler nur im regulären Ligabetrieb diese Drucksituationen von Auf- und Abstieg spüren“. Eine eigene Liga für U21- oder U23-Reservemannschaften wäre für Herthas Sportdirektor nichts anderes als die Verlängerung des Jugendbereichs.
Zu hohe Kosten für Energie Cottbus
Die finanziellen Aufwendungen für einen solchen Ligabetrieb beziffert Herthas Sportdirektor auf einen mittleren sechststelligen Betrag. Aufwendungen, die kleinere Bundesligavereine oder Drittligisten häufig nur schwer stemmen können. Dazu zählt auch Energie Cottbus.
2016, nach dem ersten Abstieg in die Regionalliga, löste der Verein aus der Lausitz seine zweite Mannschaft auf und meldete sie vom Spielbetrieb ab. Für den damals finanziell angeschlagenen Klub lag der Hauptgrund vor allem an den immensen Kosten, erklärt Pressesprecher Stefan Scharfenberg-Hecht heute. „Grundsätzlich wäre die Einrichtung einer U23 zu begrüßen“, weil man so einen besseren Übergang für den Nachwuchs in den Profibereich herstellen könne. Zumal die jungen Spieler in der ersten Mannschaft meist nur wenig Einsatzzeit bekämen, erklärt Scharfenberg-Hecht.
Die Kehrseite seien aber Kosten für Trainer, Spieler, Betreuer, Auswärtsfahrten, Verpflegung, Trainingsplätze und Spielstätten, die auch von der Ligazugehörigkeit abhingen. Dieser logistische Unterbau ist für einen Drittligisten mit großem Aufwand verbunden. „Das sind Aufwendungen, die solche Dimensionen haben, dass sie für uns momentan nicht darstellbar sind“, so Scharfenberg-Hecht.
Gründung einer U23 abhängig vom sportlichen Erfolg
Sollte sich Energie Cottbus in den kommenden Jahren in der dritten Liga etablieren und langfristig auch der Weg in die zweite deutsche Spielklasse möglich sein, so würde laut Scharfenberg-Hecht dieses Thema möglicherweise wieder auf die Tagesordnung kommen. Aber: „Das wäre eine Wunschvorstellung.“ Man wolle zunächst einmal demütig bleiben. „Vor dreieinhalb Jahren waren wir fast am Ende, jetzt haben wir das Ziel, die Klasse zu halten.“ Man wolle sich kontinuierlich weiterentwickeln. In der zweiten Liga hätte man andere Strukturen, die helfen würden, eine U23 erneut aufzubauen.
Aber wie verfährt man in Cottbus mit Talenten, die aus dem NLZ kommen und nicht sofort den Sprung in die erste Mannschaft schaffen? „In der Regel ist ein Leihgeschäft immer ein gangbarer Weg“, sagt Scharfenberg-Hecht: „Wenn man davon überzeugt ist, dass ein Spieler das Potenzial hat, dritte Liga zu spielen, dann behält man ihn.“
So geschehen bei Energie-Talent Edgar Kaizer. Als 19-Jähriger wurde der Innenverteidiger zu Regionalligist FSV Luckenwalde verliehen, spielte dort eine starke Saison und hat es nun in den aktuellen Drittligakader der Lausitzer geschafft.
Wenn man davon überzeugt ist, dass ein Spieler das Potenzial hat, dritte Liga zu spielen, dann behält man ihn.
Stefan Scharfenberg-Hecht, Pressesprecher FC Energie Cottbus
Leihgeschäfte als Karriereweg
Ein Weg, den auch Hertha BSC in manchen Fällen geht. Wobei Benjamin Weber klarstellt, dass man dies von Spieler zu Spieler immer aufs Neue entscheiden müsse, welcher Karriereweg gerade der richtige sei. Marten Winkler wurde beispielsweise für die Saison 2022/23 nach Mannheim in die dritte Liga verliehen. Seine Entwicklung gefiel den Verantwortlichen. Seit letzter Saison ist der offensive Mittelfeldspieler wieder fester Bestandteil von Herthas Zweitligakader. In diesem Jahr hat Hertha BSC Tim Hoffmann zum FC Erzgebirge Aue und Julian Eitschberger zu Rot-Weiß Essen in die dritte Liga verliehen.
Beim Übergang von der Jugend in den Profibereich gehen Wege aber auch auseinander. Da trenne sich häufig die Spreu vom Weizen, so Energie-Sprecher Scharfenberg-Hecht. Schwierig wird es dann, wenn Spieler noch ihr Abitur im NLZ machen müssen, obwohl sie schon zu alt für die Cottbusser U19 sind. Der Verein versuche dann immer, etwas in der Region zu finden.
Eine gezielte Förderung der Talente, die nach der U19 noch Zeit bräuchten, ist für Energie Cottbus in diesem Rahmen kaum möglich – anders als bei Hertha BSC: „Für uns lohnt sich die U23 definitiv. Sie ist ein elementarer Baustein, um Spieler nach oben zu bringen und kontinuierlich weiterzuentwickeln“, ist Benjamin Weber überzeugt. Positiver Nebeneffekt: Der Ausbildungsverein kann daraus häufig einen finanziellen Nutzen ziehen. Die Deutsche Fußball-Liga honoriert auch Einsatzzeiten junger Spieler im Profibereich über die TV-Gelder, von späteren Ablösesummen mal ganz abgesehen.
Union seit acht Jahren ohne eigene U23
Für Hertha BSC überwiegen also die Vorteile einer U23. Man gibt seinen Jugendspielern eine Perspektive und Zeit zur Entwicklung, sie können Spielpraxis sammeln und verstärken im besten Fall spätestens nach zwei Jahren den aktuellen Zweitligakader.
Ein Konzept, das Erstligist 1. FC Union Berlin nicht verfolgt. Die Köpenicker verzichten seit über acht Jahren bewusst auf eine zweite Mannschaft. Auf Empfehlung des eigenen NLZs wurde sie 2016 aufgrund überschneidender Spielzeiten von Regionalliga und zweiter Bundesliga aufgelöst. Außerdem sollten „Spieler, die Potential haben, direkt in den Trainingskader der Profis gehen“, und nicht auf Regionalliga-Niveau trainieren, so Lutz Munack.
Der Geschäftsführer für den Nachwuchs- und Amateurfußball bei den Köpenickern war damals federführend beteiligt, als Unions „Zweite“ vom Spielbetrieb abgemeldet wurde. Eine Entscheidung, die er nach wie vor als richtig erachtet, auch wenn der Verein damit gegen den Trend und entgegen den Konzepten der meisten Erst- und Zweitligisten handelt.
Der Köpenicker Weg: Neue Strukturen und Leihen
Um den Köpenicker Weg zu verstehen, muss man sich den Werdegang und die Strukturen der Eisernen vergegenwärtigen. „Wir wollten die Lok, sprich die 1. Mannschaft, so stark wie möglich machen und erst danach im Verein die Strukturen aufbauen“, erklärt Munack.
Bislang geht dieses Konzept auf. Die letzten sechs Jahre zählen zu den erfolgreichsten der Vereinsgeschichte. Man spielte durchgehend Bundesliga und konnte sich sogar erstmals für die Champions League qualifizieren. Dazu wurde das eigene NLZ sukzessive aufgebaut. U17 und U19 sind mittlerweile stabil in den höchsten deutschen Spielklassen vertreten, daneben konnte die Zahl der vereinseigenen Junioren-Nationalspieler erhöht werden. Das neue Nachwuchs-Trainingszentrum Oberspree (TZO) wurde vor Kurzem fertiggestellt. Aber: „Unsere Entscheidung ist nach wie vor, nur die Besten zu binden“, so Munack.
Wer es nicht in den Kader der Bundesliga-Mannschaft schafft, aber trotzdem das Potenzial für den Profibereich mitbringt, der wird verliehen, wobei der Verein Sorge trägt, dass der Nachwuchsakteur das höchstmögliche Niveau bekommt. „Am Ende ist es wichtig, den einzelnen Spielern gerecht zu werden“, sagt Munack. Eine individuelle Entscheidung könne getroffen werden. Die Talente bekämen Profibedingungen und sammelten Spielpraxis. Etwas, das ihnen der Verein bei den Profis häufig nicht bieten könne.
Unsere Entscheidung ist nach wie vor, nur die Besten zu binden.
Lutz Munack, Geschäftsführer für Nachwuchs- und Amateurfußball des 1. FC Union Berlin
Kemlein und Preu als Vorzeigespieler
Beispiele für erfolgreiche Entwicklungen nach Leihen sind Aljoscha Kemlein, der im letzten Jahr mit dem FC St. Pauli in die Bundesliga aufsteigen konnte und David Preu, der beim VfR Aalen in der Regionalliga zum Stammspieler avancierte. Beide kehrten nach Köpenick zurück und stehen in dieser Saison im Profikader. Doch Union hat darüber hinaus kaum eigene Nachwuchsspieler in der 1. Mannschaft etablieren können. Wäre es da nicht an der Zeit, über eine U23 als weiteren Baustein nachzudenken?
„Ich glaube an den Weg, den wir aktuell gehen“, sagt Munack. Bei Union stelle sich immer die Frage: „Wer hat kurz- oder mittelfristig das Potenzial für den Profifußball.“ Für ihn sei das Leistungsgefälle zwischen Bundesliga und Regionalliga und den damit verbundenen Trainingsbedingungen einfach zu hoch. Der Sprung von der U19 in den Männerbereich sei riesig. „Als wir noch Drittligist waren, hatte die U23 einen ganz anderen Wert. Sie war viel durchlässiger. Drei, vier Spieler aus dem Nachwuchs kamen sofort in die erste Mannschaft.“
Dass andere Bundesligisten sich durch eine U23 breiter aufstellen wollen, ist für Unions Nachwuchsleiter nachvollziehbar, zum Beispiel wenn in einer Länderspielpause aufgrund von Abstellungen zusätzliche Spieler für den regulären Trainingsbetrieb gebraucht würden. Union versuche dann mit U19-Spielern aufzufüllen. Dies sei ein Fingerzeig für die Talente.
Emotionales Thema zweite Mannschaft
Dass vereinzelte Unioner sich wieder eine zweite Mannschaft wünschen, weiß auch Lutz Munack. Die Regionalliga Nordost, wo eine rot-weiße U23 wohl langfristig beheimatet wäre, ist eine Art nostalgischer Sehnsuchtsort für viele Fans. Hier mal wieder eine Bratwurst in Luckenwalde essen, dort ein kleines Derby gegen den BFC Dynamo bestreiten. „Das Thema berührt einige. Wir diskutieren das regelmäßig. Für die Zukunft möchte ich nichts ausschließen, weil es gibt immer auch Argumente, die möglicherweise zu anderen Entscheidungen führen können“, sagt Munack.
Unterm Strich ist die Talentförderung beim 1. FC Union eine Frage der Aufrichtigkeit den Spielern gegenüber: „Es ist ehrlicher, zu sagen: Geh deinen Weg, Profifußball ist möglich, aber nicht bei uns, weil wir nicht jeden Weg anbieten.“ Und so geht es bei der Abwägung zwischen dem Pro und Contra einer U23 auch weniger um ein Richtig oder Falsch, sondern vielmehr darum, ob die Mannschaft in das jeweilige Konzept des Vereins passt und wie stark sich die Durchlässigkeit zu den Profis gestaltet.
Aus letzterem Grund hält auch Hertha BSC an seiner U23 fest. Sollten die „Bubis“ irgendwann sportlich in die dritte Liga aufsteigen können, wie zuletzt die Zweitvertretung von Hannover 96, wolle man laut Benjamin Weber auch dies möglich machen, da es grundsätzlich das Ziel sei, „unseren Talenten die höchstmögliche Spielklasse zu ermöglichen. Allerdings nur mit dem Weg, wie wir es jetzt auch tun, mit den eigenen jungen Spielern.“
Sendung: rbb24|Inforadio, 20.09.2024, 13:15 Uhr
Beitrag von Fabian Friedmann
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