Berlin/Gütersloh (dpa/tmn) – Die Vorstellung von Freiheit und Selbstbestimmtheit als Freiberufler bringt oft ein Stückchen Romantik mit sich: Man ist sein eigener Chef, bestimmt seine Arbeitszeiten und wählt selbst, wo und wie man arbeitet. Doch was passiert, wenn die Realität plötzlich eine andere ist? Wenn der Staat kommt und sagt: „Moment mal, du bist gar kein Freiberufler, sondern scheinselbstständig!“?
Dieses Thema betrifft zahlreiche Branchen, von IT-Beratern über Texter bis hin zu Fahrern im Transportwesen. Eine routinemäßige Betriebsprüfung kann gelegentlich dazu führen, dass jemand, der sich als Selbstständiger fühlt, auf einmal in der Kategorie der abhängigen Beschäftigten eingestuft wird. Dies kann massive finanzielle Nachforderungen nach sich ziehen. Für diejenigen, die sich als echte Selbstständige fühlen, ist es wichtig, die notwendigen Schritte zu kennen, um rechtlich auf der sicheren Seite zu stehen.
Was genau bedeutet Scheinselbstständigkeit?
Laut Una Großmann von der Deutschen Rentenversicherung Bund sind scheinselbstständige Personen solche, die glauben, selbstständig zu sein, tatsächlich aber wie Festangestellte arbeiten. Oft sind sie ihren Auftraggebern gegenüber weisungsgebunden und in deren Struktur integriert. Dies kann an verschiedenen Indikatoren erkennbar sein:
- Arbeit zu festgelegten Zeiten
- Regelmäßige Arbeit vor Ort beim Auftraggeber
- Eine namentliche Erwähnung im Dienstplan
- Die Notwendigkeit, Genehmigungen für Tätigkeiten bei anderen Auftraggebern einzuholen
Diese Merkmale können darauf hinweisen, dass es sich nicht um echte Selbstständigkeit handelt, was bei einer Überprüfung zu ernsten finanziellen Konsequenzen führen kann.
Warum ist das ein schwerwiegendes Problem?
Die Sozialversicherung schützt Beschäftigte, die in abhängiger Anstellung arbeiten. Das bedeutet, dass sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber verpflichtet sind, Beiträge zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung zu leisten. Bei scheinselbstständig Tätigen fallen diese Abgaben jedoch oft unter den Tisch, was gegen das Gesetz verstößt. Wie Kathrin Schulze Zumkley, Fachanwältin für Arbeitsrecht, erläutert, führt diese Unterlassung zu finanziellen Einbußen für den Staat und die Sozialkassen.
Darüber hinaus kann die fehlende Lohnsteuer Zahlung schwerwiegende rechtliche Folgen haben – darunter möglicherweise Steuerhinterziehung. Die rechtlichen Konsequenzen für Beteiligte sind gravierend: Laut Abgabenordnung kann dies mit Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafen geahndet werden.
Für die Betroffenen bedeutet aufgedeckte Scheinselbstständigkeit, dass ihre Tätigkeit rückblickend als abhängig Beschäftigt eingestuft wird. Dies hat weitere weitreichende Konsequenzen: Die Umsatzsteuer auf Rechnungen wird für nichtig erklärt, und bereits vorgenommene Vorsteuerabzüge müssen zurückgezahlt werden. Zudem können Arbeitgeber von den Arbeitnehmern einen Teil der nachzuzahlenden Sozialversicherungsbeiträge einbehalten.
Einblick in das Statusfeststellungsverfahren
Um rechtliche Sicherheit zu erlangen, können Auftragnehmer und Auftraggeber ein Statusfeststellungsverfahren bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung beantragen. Dies bietet die Möglichkeit, herauszufinden, ob die eigene Tätigkeit als selbstständig oder abhängig beschäftigt angesehen wird. Jedoch betrifft ein solches Verfahren immer nur ein Vertragsverhältnis. Wer mit mehreren Auftraggebern zusammenarbeitet, muss für jedes Verhältnis separat ein Statusfeststellungsverfahren beantragen.
Um als Freiberufler keine Probleme mit der Scheinselbstständigkeit zu bekommen, können einige Maßnahmen ergriffen werden. Dazu gehört, in eigenen Räumen zu arbeiten und eigenes Equipment zu verwenden. Auch die Vermeidung fester Arbeitszeiten und von Weiterbildungsangeboten des Auftraggebers ist ratsam. All diese Punkte helfen dabei, sich im Graubereich der Selbstständigkeit besser abzusichern.
Die Anzahl der Auftraggeber – ist das entscheidend?
Ein oft gehörter Rat ist, dass Freiberufler mehrere Auftraggeber haben sollten. Zwar kann dies hilfreich sein, jedoch ist die Anzahl der Auftraggeber allein nicht ausschlaggebend für die Einstufung der Selbstständigkeit. Jedes Auftragverhältnis muss gesondert betrachtet werden. Selbstständige, die nur einen Auftraggeber haben und nicht als scheinselbstständig eingestuft werden, sind dennoch verpflichtet, in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen.
Besondere Vorsicht ist bei spezifischen Berufen geboten. So urteilte das Bundessozialgericht im Juni 2022, dass Gesellschafter-Geschäftsführer einer Anwaltskanzlei in einem bestimmten Fall als abhängig Beschäftigte gelten können, was hohe Nachzahlungen zur Folge hatte. Auch andere Berufe wie Honorarärzte und Pflegekräfte sehen sich ähnlichen Herausforderungen gegenüber.
Rechtliche Rahmenbedingungen und Entwicklungen
Die rechtliche Definition und Prüfung der Scheinselbstständigkeit ist in Deutschland durch mehrere Gesetze und Regelungen festgelegt. Besonders relevant ist hier das Sozialgesetzbuch (SGB) sowie die Abgabenordnung (AO), die klarstellen, unter welchen Umständen eine Person als selbstständig oder abhängig beschäftigt zu gelten hat. In den letzten Jahren hat es auch Reformen und gesetzliche Anpassungen gegeben, die vor allem die Kriterien zur Abgrenzung von Selbstständigkeit und Scheinselbstständigkeit angehen.
Ein wichtiger Aspekt ist der sogenannte Betriebsprüfungsstichtag. Dieser legt fest, wann eine Prüfung der Beschäftigungsverhältnisse stattzufinden hat und ab wann die Nachzahlungen bei einer festgestellten Scheinselbstständigkeit rückwirkend fällig werden können. Auch die rechtlichen Möglichkeiten für Selbstständige, sich abzusichern, etwa durch das Statusfeststellungsverfahren, sind gestiegen. In diesem Zusammenhang ist die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung von zentraler Bedeutung, um im Vorfeld Klarheit über den eigenen Status zu erlangen.
Die Auswirkungen auf die Wirtschaft
Scheinselbstständigkeit hat nicht nur individuelle Konsequenzen für die Betroffenen, sondern auch für die Wirtschaft insgesamt. Unternehmen, die entgegen der gesetzlichen Vorgaben Aufträge an Scheinselbstständige vergeben, riskieren nicht nur hohe Nachzahlungen, sondern auch rechtliche Strafen, die im Worst-Case auch zu Ausschlüssen von öffentlichen Aufträgen führen können. Diese Situation schafft Unsicherheiten im Arbeitsmarkt und gefährdet faire Wettbewerbsbedingungen.
Eine Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) zeigt, dass der Einsatz von Scheinselbstständigen in bestimmten Branchen, wie etwa der IT- und Kreativwirtschaft, besonders hoch ist. Dies hat zur Folge, dass die Beschäftigten in diesen Bereichen unter prekären Bedingungen arbeiten, was letztlich negative Auswirkungen auf die soziale Absicherung und die ökonomische Stabilität des Landes haben kann. Ein transparenterer Umgang mit Selbstständigkeit könnte dazu beitragen, diese Probleme zu mindern und die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zu sichern.
– NAG