Rom / Regensburg, 21. August 2024
In einer bemerkenswerten Äußerung hat Papst Franziskus die zentrale Rolle von Literatur und gutem Lesen in der Bildung hervorgehoben. Seinen Worten zufolge sind Bücher nicht nur Werkzeuge für Wissen, sondern auch wesentliche Bausteine des Glaubens und tragen zur persönlichen Reifung bei. Er sieht in der Literatur mehr als bloße Unterhaltung; sie ist für ihn ein Mittel, das zur inneren Heilung und zur geistlichen Tiefe führen kann.
Oftmals empfinden Menschen in der hektischen und manchmal einsamen Welt von heute eine Flucht in die Literatur als willkommene Erholung. Ein gutes Buch kann wie eine Oase wirken, die es ermöglicht, schwere Zeiten zu überstehen und neue Perspektiven zu entdecken. Franziskus betont, dass insbesondere in lichtlosen Momenten, wenn das Gebet nicht weiterhilft, ein Buch die innere Ruhe zurückbringen kann.
Die aktive Rolle des Lesers
Der Papst macht einen klaren Unterschied zwischen der Lektüre und dem Konsum von audiovisuellen Medien aus. Er erklärt, dass das Lesen einen aktiven Prozess darstellt, bei dem der Leser eine Geschichte nicht nur konsumiert, sondern sie auch neu interpretiert. Die eigene Vorstellungskraft wird angeregt, und der Leser schafft so seine eigene Welt, geprägt von persönlichen Erfahrungen und Träumen. Hier entsteht ein lebendiger Dialog zwischen dem Text und dem Leser, der jeden literarischen Inhalt zu etwas Einzigartigem erhebt.
Franziskus kritisiert die gegenwärtige Tendenz, Literatur in der priesterschaftlichen Ausbildung zu vernachlässigen. Er äußert Bedenken, dass die Beschäftigung mit Literatur in vielen Seminaren als unwichtig erachtet wird, was zu einer engen Sichtweise und einer Verarmung intellektuell und spirituell führen kann. Diese Abkehr von der Literatur steht im Gegensatz zu den Anforderungen einer zeitgemäßen Ausbildung zukünftiger Priester, die in der Lage sein sollten, durch Literatur die Komplexität und Tiefe der menschlichen Existenz zu erfassen.
In seiner Argumentation verweist er auf die Wichtigkeit, literarische Werke zum Bestandteil der pastoralen Ausbildung zu machen. Deutlich hebt er hervor, dass Literatur nicht nur Bildung, sondern auch eine Vorbereitung auf die Herausforderungen des Glaubens ist. Sie öffnet Türen zu einer tieferen Auseinandersetzung mit der menschlichen Natur und ihren Sehnsüchten.
Für Franziskus ist die Literatur eng verbunden mit dem Glauben. Er sieht in ihr einen Weg, der es Gläubigen ermöglicht, mit der Kultur ihrer Zeit in Dialog zu treten. In dieser Hinsicht nennt er das Zweite Vatikanische Konzil, das festgestellt hat, dass Literatur und Künste das Wesen des Menschen besser verstehen helfen und dabei sowohl dessen Freude als auch seine Leiden darstellen können.
Darüber hinaus erinnert er an historische Persönlichkeiten, die Literatur als ein wertvolles Werkzeug sahen, um in die Tiefen der menschlichen Seele einzudringen. Dabei wird die Bedeutung von Literatur als Werkzeug der Empathie und des Verstehens unterstrichen, was in der pastoralen Arbeit einen entscheidenden Vorteil darstellt.
Die gemeinsame Zeit mit Büchern, von Kindheit an bis ins Erwachsenenleben, gleicht einem gemeinsamen Weg, der nicht nur intellektuell bereichert, sondern auch das Herz öffnet. Der Weg der Lektüre wird nicht als Pflicht, sondern als Lebenserfahrung betrachtet, die für jeden von uns von Bedeutung ist. Franziskus ermutigt dazu, mit Offenheit und Neugier die Literatur zu erkunden und die eigene Leseerfahrung zu einem persönlichen Abenteuer zu machen.
Die Wichtigkeit des Lesens in der Ausbildung
Der Papst skizziert die Konsequenzen, die sich aus einer tiefen Auseinandersetzung mit Literatur ergeben. Diese Beschäftigung erweitert das Verständnis, entwickelt Empathie und fördert die Fähigkeit, die Welt durch die Augen anderer zu sehen. In der Literatur wird eine Art „Schule des Verstehens“ sichtbar, die zukünftige Priester vorbereiten sollte, indem sie ihnen die Fähigkeit vermittelt, die menschlichen Erfahrungen und die tiefen menschlichen Fragen zu begreifen.
Franziskus warnt auch vor der Oberflächlichkeit, die mit einer zu starken Fokussierung auf technische Medien verbunden ist. Die Flut von Informationen und der ständige Druck, schnell und effizient zu agieren, gefährden die Fähigkeit, tiefergehende Fragen des Lebens zu betrachten und Antworten auf die spirituellen Bedürfnisse der Menschen zu finden. Er ruft dazu auf, das Tempo herauszunehmen und das Lesen als eine Möglichkeit zu entdecken, in die Tiefe der menschlichen Erfahrungswelt einzutauchen.
Abschließend stellt Papst Franziskus fest, dass Literatur nicht nur für den Einzelnen wichtig ist, sondern auch für die gesamte Kirche und ihre missionarische Aufgabe. Die Begegnung mit verschiedenen Kulturen und deren Geschichten durch Bücher ermöglicht es, die Botschaft des Evangeliums auf eine relevante und einfühlsame Art und Weise zu kommunizieren. Durch Literatur erfährt jeder Leser, welches menschliche Verlangen in den Erzählungen verborgen ist, und gewinnt so die Fähigkeit, mit dem Herzen des Menschen zu sprechen.
Der Einfluss der Literatur auf die persönliche und spirituelle Entwicklung
Die Auseinandersetzung mit Literatur kann tiefgreifende Auswirkungen auf die persönliche und spirituelle Entwicklung des Individuums haben. Laut einer Studie des Deutschen Bibliotheksverbands zeigt sich, dass Menschen, die regelmäßig lesen, bessere soziale Fähigkeiten, ein höheres Maß an Empathie und eine ausgeprägtere emotionale Intelligenz besitzen. Diese Eigenschaften sind nicht nur im persönlichen Leben wichtig, sondern wirken sich auch positiv auf die Gemeinschaft und den interkulturellen Dialog aus. Der Kontakt zu den Erfahrungen, den Gedanken und den Emotionen anderer Menschen, die in Büchern dargestellt werden, fördert das Verständnis und die Toleranz gegenüber anderen Sichtweisen und Lebensweisen.
Darüber hinaus zeigt die Forschung, dass Lesen eine Form der Selbstreflexion hervorruft, die zu einer größeren Selbstkenntnis führen kann. Die Begegnung mit literarischen Charakteren und deren Herausforderungen ermöglicht es Lesern, eigene Lebenskonflikte zu identifizieren und zu verarbeiten, was für die seelische Gesundheit von großer Bedeutung ist.
Geschichte der Literatur und Glaubensentwicklung
Die Beziehung zwischen Literatur und Glaubensentwicklung hat eine lange Geschichte. Älteste literarische Werke, wie die epischen Gedichte von Homer, thematisieren nicht nur menschliche Erfahrungen, sondern auch die Begegnung mit dem Göttlichen. In der Bibel finden sich zahlreiche literarische Formen, angefangen bei Erzählungen über die Schöpfung bis hin zu poetischen Buchteilen wie den Psalmen. Diese Werke haben nicht nur die kulturelle Identität der Gläubigen geprägt, sondern auch dazu beigetragen, moralische und ethische Fragen zu reflektieren.
Ein bekanntes Beispiel ist Dantes „Göttliche Komödie“, die sowohl literarisch als auch teologisch von enormer Bedeutung ist. Sie vermittelt nicht nur Konzepte von Himmel, Hölle und Fegefeuer, sondern macht auch deutlich, wie Engel und Heilige in menschlichen Lebensrealitäten agieren. Diese Verbindung zwischen literarischer Kunst und Glaubenslehre fördert ein tieferes Verständnis für spirituelle Konzepte und Impulse.
Ebenso zeigt die Entwicklung der christlichen Literatur, vor allem während der Renaissance, einen zentralen Einfluss auf die theologischen Diskurse der Zeit, die viele Aspekte der Glaubensüberzeugungen hinterfragten und neue Perspektiven eröffneten.
Aktuelle Ansätze zur Leseförderung in theologischen Einrichtungen
Viele Einrichtungen der theologischen Ausbildung haben erkannt, wie wichtig die Förderung der Lese- und Schreibfähigkeit innerhalb der Priesteramtsausbildung ist. Ein Ansatz, der zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist der Einsatz von kreativen Schreibwerkstätten, die die Studierenden ermutigen, nicht nur die Texte der großen Werke zu lesen, sondern auch eigene Texte zu verfassen, die ihre Gedanken und Glaubensfragen widerspiegeln.
In einigen Priesterseminaren sind auch Literaturkurse etabliert worden, in denen verschiedene literarische Genres behandelt werden, um eine breitere Perspektive auf kulturelle und religiöse Themen zu erhalten. Diese Programme sollen die Absolventen dazu befähigen, als zukünftige Seelsorger nicht nur theologische Inhalte zu vermitteln, sondern auch die Fähigkeit zu entwickeln, mit der Vielfalt menschlicher Erfahrungen in der Liturgie und Seelsorge umzugehen.
In einem zunehmend multikulturellen und vielfältigen Kontext ist es unerlässlich, dass zukünftige Priester ein tiefes Verständnis für unterschiedliche literarische Traditionen und kulturelle Narrative entwickeln. Dies trägt nicht nur zu einer umfassenderen Ausbildung bei, sondern fördert auch eine respektvolle und fruchtbare Interaktion mit den Gläubigen aus verschiedenen kulturellen Hintergründen.
– NAG