Im Gießener Frauenkulturzentrum fand kürzlich ein fesselnder Vortrag über das Leben und Wirken der bedeutenden Frauenrechtlerin und Publizistin Henriette Fürth statt. Die Referentin Sabine Scheele-Brenne, die unter anderem Kunstgeschichte studiert hat und sich aktiv in der Kommunalpolitik betätigt, gewährte den Zuhörerinnen tiefere Einblicke in die beeindruckende, aber auch herausfordernde Lebensgeschichte Fürths.
Fürth wurde 1861 in Gießen in eine wohlhabende jüdische Familie geboren. Ihre Herkunft war geprägt von Erfolg, doch finanzielle Schwierigkeiten nach einem Fabrikbrand machten es ihr unmöglich, das angestrebte Abitur zu absolvieren. Diese frühen Rückschläge sollten sie jedoch nicht davon abhalten, sich für die Rechte der Frauen einzusetzen. Im Jahr 1880 heiratete sie einen Cousin und zog mit ihm nach Frankfurt am Main, wo sie acht Kinder zur Welt brachte. In dieser Zeit begann sie, sich als Publizistin zu betätigen, um ihre Familie finanziell zu unterstützen.
Die Publizistin Henriette Fürth
Ab 1890 widmete sich Fürth intensiv Themen, die für Frauen von zentraler Bedeutung waren, darunter Arbeitsbedingungen, Mutterschutz und Geburtenkontrolle. Sie veröffentlichte mehr als 30 Bücher und schrieb rund 200 Artikel, die sich mit den Herausforderungen des weiblichen Arbeitslebens auseinandersetzten. Besonders bemerkenswert war ihre Methode, direkt mit betroffenen Frauen über deren Erfahrungen zu sprechen. Fürth wollte die Realität der Frauen nicht nur theoretisch erörtern, sondern diese auch in ihrer Art und Weise dokumentieren.
Ein Beispiel für ihr Engagement ist ihr Werk „Die Frau in der Maßschneiderei“ aus dem Jahr 1899, in dem sie die Schwierigkeiten weiblicher Arbeiter thematisiert. Fürth war eine Vordenkerin, die den Mut hatte, Missstände anzusprechen. Ihre Berichte über die Zustände in den Gießener Zigarrenfabriken, in denen der Großteil der Beschäftigten Frauen waren, sind heute wie damals von großer Relevanz. Sie machte auf die prekären Arbeitsbedingungen, die gesundheitlichen Risiken und die wirtschaftliche Ausbeutung aufmerksam, unter denen viele Frauen litten.
Im Laufe ihrer Laufbahn war Fürth auch an politischen Bewegungen beteiligt. Obwohl der Einfluss ihrer Forschung in der von Männern dominierten Politik unklar bleibt, nahm sie aktiv an Demonstrationen für Frauenrechte teil und erhielt Unterstützung von einigen Gewerkschaften. Ihr sozialpolitisches Engagement führte 1909 zu ihrer Aufnahme in die Deutsche Gesellschaft für Soziologie.
Ein Leben im Schatten der Geschichte
Die politischen Umstände in Deutschland, insbesondere mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus, führten zu einer drastischen Zäsur in Fürths Leben. Aufgrund ihres jüdischen Glaubens sah sie sich 1933 gezwungen, ihre Ämter niederzulegen. Trotz dieser Widrigkeiten überdauerte ihr Engagement für Frauenrechte, und sie setzte ihr Wirken bis zu ihrem Tod im Jahr 1938 in Bad Ems fort. Tragischerweise waren zwei ihrer Töchter Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung und wurden in Konzentrationslagern ermordet.
Die Erhaltung des Andenkens an Henriette Fürth bleibt von Bedeutung. In Städten wie Gießen und Frankfurt gibt es Straßen, die nach ihr benannt sind, doch das Wissen über ihr Lebenswerk ist oft begrenzt. Wie Scheele-Brenne anmerkte, sind die Themen, die Fürth behandelte, heute nicht weniger aktuell, was ihr Engagement umso bedeutender macht.
Fürth hat sowohl Herausforderungen überwunden als auch den Mut gezeigt, ihre Stimme zu erheben. Ihr Lebenswerk ist ein eindrucksvolles Zeugnis von persönlichem und politischem Kampf im Dienste der Frauen und ihrer Rechte in einer Zeit des Wandels. Es ist unerlässlich, dass heutzutage an solche Figuren erinnert wird, um die fortwährenden gesellschaftlichen Herausforderungen zu beleuchten und Gerechtigkeit für Frauen zu fördern.
Henriette Fürth war eine bemerkenswerte Persönlichkeit in einer Zeit, in der Frauen oft marginalisiert und unterrepräsentiert waren. Ihr Engagement für die Rechte der Frauen und ihre umfassenden Studien über die Arbeitsbedingungen, unter denen viele Frauen litten, stellen einen wichtigen Beitrag zur sozialen Geschichte Deutschlands dar. Während des 19. Jahrhunderts wuchs das Interesse an sozialen Reformen, und das Aufkommen der Frauenbewegung setzte die Grundlagen für die späteren Errungenschaften in Bezug auf Gleichberechtigung und Frauenrechte.
Im Kontext ihrer Zeit war Fürth Teil einer breiteren Bewegung, in der Frauen anfingen, ihren Platz in der Gesellschaft zu fordern und zu behaupten. Diese Entwicklungen fanden nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern statt, wo ähnliche gesellschaftliche und politische Veränderungen stattfanden. So blühten in England und Frankreich Frauenbewegungen auf, die sich auch für das Wahlrecht und Bildungszugang für Frauen einsetzten.
Der Kontext der Frauenbewegung im 19. und frühen 20. Jahrhundert
Das 19. Jahrhundert war eine Zeit des Umbruchs, in der sich die gesellschaftlichen Strukturen in Europa erheblich veränderten. Mit der industriellen Revolution wuchs die Zahl der Frauen, die einer Erwerbsarbeit nachgingen, was erneut die Diskussion um deren Rechte befeuerte. Frauen begannen, in traditionellen Männerberufen zu arbeiten, besonders in der Textil- und Nahrungsmittelindustrie, wo sie oft unter prekären Bedingungen litten.
Innerhalb dieser Phase traten prominente Persönlichkeiten wie Louise Otto-Peters oder Hedwig Dohm hervor, die ebenfalls für die Rechte der Frauen kämpften. Diese Frauen und viele andere trugen zu einem Bewusstsein für die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern bei und forderten Veränderungen. Henriette Fürth war in dieser Bewegung nicht nur eine Chronistin, sondern auch eine aktive Beteiligte, die die Stimme der Frauen arbeitete und versuchte, deren Anliegen in öffentliche Diskurse einzubringen.
Aktuelle Relevanz von Henriette Fürths Themen
Die Themen, für die sich Henriette Fürth einsetzte, sind auch heute noch aktuell. Frauen kämpfen weiterhin für Gleichheit am Arbeitsplatz, bessere Arbeitsbedingungen und eine gerechte Bezahlung. Laut dem Global Gender Gap Report 2021 des Weltwirtschaftsforums beträgt der geschlechtsspezifische Lohnunterschied in Deutschland immer noch etwa 19 Prozent, was zeigt, dass das, wofür Fürth einst plädierte, nach wie vor relevant ist.
Darüber hinaus hat die COVID-19-Pandemie die Herausforderungen, mit denen Frauen konfrontiert sind, erneut verschärft. Studien zeigen, dass Frauen in vielen Bereichen, wie beispielsweise im Gesundheitswesen und in der Bildung, überproportional stark betroffen sind. Diese aktuellen Entwicklungen machen deutlich, dass die Kämpfe von Henriette Fürth und ihren Zeitgenossen in gewisser Weise auch für die heutigen Generationen von Frauen von Bedeutung sind.
– NAG