Eine aktuelle Studie lädt dazu ein, das dunkle Kapitel der Zwangsarbeit während der NS-Zeit zu reflektieren, insbesondere in Bezug auf die Rolle der Diakonie. Diese Ende September 2024 vorgestellte Forschung beleuchtet, wie Menschen, die als „asozial“ oder „arbeitsscheu“ eingestuft wurden, in geschlossene Einrichtungen gebracht und zur Arbeit gezwungen wurden. Dies geschah in einem System, das sich zunächst als Dienst der Nächstenliebe tarnte, aber in Wirklichkeit ein ausgeklügeltes Geschäftsmodell war.
Von 1934 bis 1959 fand in der diakonischen Einrichtung BruderhausDiakonie in Buttenhausen bei Reutlingen Zwangsarbeit statt. Sebastian Wenger, ein Historiker vom Institut für Geschichte der Medizin des Bosch Health Campus, präsentierte wesentliche Ergebnisse seiner Studie auf einer Veranstaltung in Münsingen-Buttenhausen. Diese belegt, dass Menschen aufgrund ihrer sozialen Lage, wie Obdachlosigkeit oder Prostitution, in diese Einrichtung eingewiesen wurden und ihrer Freiheit beraubt waren. Der NS-Staat verfolgte mit dieser Praxis das Ziel, die als „asozial“ geltenden Personen aus der Gesellschaft zu entfernen und sie durch Zwangsarbeit zu resozialisieren.
Das System der Zwangseinweisungen
Das System, das in der Diakonie eingerichtet wurde, setzte sich auch noch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fort. Erst 1967 wurde es durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts beendet. Bei der jüngsten Veranstaltung in Buttenhausen bat die BruderhausDiakonie um Verzeihung für die erlittenen Ungerechtigkeiten. Bernhard Mutschler, der theologische Vorstand des Sozialunternehmens, äußerte: „Was geschehen ist, bedauern wir sehr“. Eine Gedenktafel, die in der Andacht enthüllt wurde, soll künftig an das Schicksal der Zwangseingewiesenen erinnern.
Bei der Zwangseinweisung in die diakonischen Einrichtungen arbeiteten die Stadt Stuttgart und die Reutlinger Gustav Werner Stiftung eng zusammen. Zuerst wurde 1934 in Göttelfingen, gefolgt von einem weiteren Lager in Buttenhausen 1935, eine Form von sozialer Isolation und Arbeitszwang etabliert. Die betroffenen Gruppen waren vielfältig: Obdachlose, Alkoholiker und auch Frauen, die nicht den gesellschaftlichen Normen entsprachen. Während des Zweiten Weltkriegs stieg die Zahl der Inhaftierten in Buttenhausen auf bis zu 300 Personen, obwohl das Lager ursprünglich für 100 Menschen konzipiert war.
Eine erschreckende Beschreibung von Wengers Forschung vergleicht die Einrichtungen mit einer „Vorstufe der Konzentrationslager“. Schätzungen zufolge waren bis 1945 etwa 1.600 Menschen in Buttenhausen untergebracht. Die Zwangsarbeiten umfassten sowohl landwirtschaftliche Tätigkeiten als auch Arbeiten im Forst und Wegebau. In Kriegszeiten wurden die Eingewiesenen sogar in Rüstungs- und Papierfabriken eingesetzt.
Trotz dieser Umstände berichtet Wenger, dass es den Menschen vergleichsweise gut ging. Die angegliederte Landwirtschaft sorgte dafür, dass die Inhaftierten genug zu essen hatten, während sie medizinisch betreut wurden. Paul Stäbler, der Leiter der Einrichtung, äußerte sich klar zu den Zwangseinweisungen. Er war kein Mitglied einer nationalsozialistischen Organisation und schützte die Bewohner vor der Ermordung in Grafeneck, wo die grausamen „Euthanasie“-Morde stattfanden.
Wengers Studie bietet mit 275 Seiten eine detaillierte Analyse der Zwangseinweisungen und deren Folgen. Der Titel lautet „Arbeitsscheu, verwahrlost, gefährdet. Zwangseinweisungen Asozialer in die Arbeitslager der Stadt Stuttgart und der Gustav Werner Stiftung“ und ist für 64 Euro im Nomos Verlag erhältlich.
Für weitere Informationen und einen tieferen Einblick in die Thematik, siehe den Bericht auf www.evangelisch.de.