In Deutschland steigt die Zahl der Übergriffe auf Justizbeamte, und das wirft zunehmend besorgniserregende Fragen auf. Wenngleich Gerichtsvollzieher und andere Justizangestellte von einem ansteigenden Trend berichten, der Bedrohungen und sogar körperliche Angriffe umfasst, bleibt die Datenlage schwach und uneinheitlich.
Ein Beispiel aus der Praxis liefert Thomas Hannß, ein Gerichtsvollzieher, der jüngst einen auf ihn adressierten Brief öffnete. Darin wurde er mit Vorwurf und Beleidigungen konfrontiert, was ihn nicht überrascht. „Beleidigungen sind an der Tagesordnung, bei Ortsterminen muss man sogar mit eskalierenden Situationen rechnen“, erzählt Hannß. Es ist eine alarmierende Realität, auf die sich viele Beamte mental vorbereiten.
Zwangsräumungen lösen teils heftige Reaktionen aus
Die Einsätze, insbesondere während Zwangsräumungen, können bedrohlich sein. Hannß schildert einen konkreten Fall aus Denkendorf bei Stuttgart, wo er für eine bevorstehende Räumung eine schusssichere Weste tragen musste. „In solchen Situationen ist man auf alles gefasst“, gibt er zu bedenken. Tatsächlich erzählen Berichte aus der letzten Zeit von dramatischen Vorfällen, darunter Drohungen mit einer Kettensäge oder das Werfen von Flüssigkeiten durch Wütende.
Immer mehr Justizbeamte kämpfen mit wachsenden Aggressionen, nicht nur Gerichtsvollzieher, sondern auch Wachtmeister, Richter und Staatsanwälte sind betroffen. Die neue Wirklichkeit wird von der Neuen Richtervereinigung (NRV) bestätigt, die zudem feststellt, dass zuverlässige Daten fehlen, um die Situation umfassend zu bewerten.
Nicht alle Bundesländer erfassen Übergriffe
Aktuell führen nur acht der sechzehn Bundesländer Statistiken über Übergriffe auf Justizbeamte. Dabei zeigen die vorhandenen Daten ein heterogenes Bild. Während in Rheinland-Pfalz im vergangenen Jahr lediglich ein Vorfall registriert wurde, verzeichnet Niedersachsen stetig etwa 200 Meldungen jährlich. Vergleicht man mit den Zahlen aus Bayern, wo die Meldungen innerhalb von drei Jahren von rund 300 auf 540 angestiegen sind, wird die Dissonanz noch klarer.
Baden-Württemberg, wo die Übergriffe ebenfalls zunehmen, notiert bis Ende Juli 132 Meldungen, was einen auffälligen Anstieg darstellt. Die Justizministerin Marion Gentges identifiziert mangelnden Respekt für Institutionen als Hauptursache. „Es ist alarmierend, dass die Repräsentanten des Rechtsstaates nicht mehr den nötigen Respekt erfahren“, erklärt Gentges.
Angesichts der Lage versuchen die Bundesländer, mit verschiedenen Schutzmaßnahmen zu reagieren. Sicherheitsschleusen in Gerichten und spezielle Gewaltpräventionstrainings für angehende Justizbeamte sind einige der Initiativen, die ergriffen werden, um die Sicherheit zu verbessern.
In Berlin schlägt die Justizsenatorin vor, die Strafen für Nötigungen von Gerichtspersonen deutlich zu erhöhen. Angriffe sollen künftig mit mindestens sechs Monaten Haft bestraft werden. Experten stehen solchen gesetzlichen Verschärfungen jedoch kritisch gegenüber, da viele Täter sich unklar über die rechtlichen Konsequenzen sind, wenn sie einen Übergriff begehen.
Ein weiteres Problem ist die Verknüpfung der öffentlichen und privaten Identität von Justizmitarbeitern. Immer mehr Richter und Staatsanwälte sehen sich auch in ihrem persönlichen Umfeld gefährdet, da Bürger über Meldeämter ihre Adressen erhalten können. Sven Kersten von der NRV fordert eine Überarbeitung des Meldegesetzes, um diese Personalien besser zu schützen.
Die Vorfälle in sozialen Medien sind ebenfalls besorgniserregend. Bedrohungen und Hasskommentare gegen Richter sind auf der Tagesordnung, was Land Baden-Württemberg dazu veranlasst, eine Beratungsstelle für Justizbeamte einzurichten, die bei der Entfernung von beleidigenden Inhalten helfen soll.
Thomas Hannß, der Gerichtsvollzieher, hat in diesem angespannten Klima seinen letzten Auftrag ohne Zwischenfälle abgeschlossen. Dennoch bleibt er wachsam: „Trotz der ruhigen Räumung, bleibt die Situation unsicher und ich ziehe bei der nächsten Räumung wieder meine Schutzweste an“, erklärt er gemeinsam mit seinem Blick auf die bevorstehenden Einsätze.