Im Herzen von Nürtingen, im Landkreis Esslingen, entsteht ein bemerkenswertes Projekt, das seit seiner Gründung im Jahr 2018 immer mehr Menschen anspricht. Etwa 100 Personen besuchen täglich den Wörth-Garten, ein Ort der Begegnung, des Gärtnerns und der Sortenvielfalt, der von der Initiative „Bunte Beete“ betrieben wird. Hier wird nicht nur die Pflanzenvielfalt gefördert, sondern auch das soziale Miteinander gestärkt. Doch die Frage, wie lange dieser Garten noch bestehen bleibt, steht im Raum.
Der Wörth-Garten, ungewöhnlicher Weise zwischen parkenden Autos und Büschen versteckt, ist nicht sofort als solcher zu erkennen. Monira Kilian, eine der Initiatorinnen, beschreibt oft das Erstaunen der Menschen, die davon hören: „Da ist doch kein Garten, da ist doch nur ein Parkplatz.“ Doch bei näherem Hinsehen zeigt sich ein lebendiger Ort, an dem alte Gemüsesorten, wie die Rote Gartenmelde, gedeihen und eine bunte Vielfalt blühender Pflanzen zu finden ist. Der Schwerpunkt liegt hier besonders auf dem Erhalt von vergessenen und gefährdeten Sorten, was den Garten nicht nur zu einem Lebensmittelpunkt macht, sondern auch zu einem Pionierprojekt im Bereich Urban Gardening.
Ein soziales Experiment
Das Konzept der „Bunten Beete“ geht über das bloße Gärtnern hinaus. Dieser Garten hat das Potenzial, ein Zentrum für Begegnungen zu werden, wo Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten zusammenkommen. Halya Oppenländer, eine der aktiven Mitglieder, beschreibt, wie der Garten als Anlaufstelle sowohl für organisierten Austausch als auch für spontane Treffen dient. So habe sie einmal beim Gießen eine Gruppe junger Männer entdeckt, die feierten. Auf ihre Bitte, keinen Müll zu hinterlassen, folgte am nächsten Tag eine positive Überraschung: „Am nächsten Tag war nichts da“, erzählt sie zufrieden. Dies spricht für den respektvollen Umgang, den die Besucher mit dem gemeinschaftlich genutzten Raum pflegen.
Im Wörth-Garten gibt es keine Zäune, was für ein Gefühl der Offenheit sorgt, und überraschenderweise wurde über die Projektjahre hinweg kein Vandalismus verzeichnet. „Diese große Vielfalt an Dingen in den Beeten kann die Menschen inspirieren“, ruft Matthias Gastel, ein Bundestagsabgeordneter der Grünen, während seines Besuchs in diesem Garten voller Möglichkeiten aus. Er sieht in dem Projekt ein enorm positives Beispiel für bürgerschaftliches Engagement und will es als Vorbild für ähnliche Initiativen fördern.
Die Wurzeln des Wörth-Gartens reichen zurück bis in die Nürtinger Innenstadt, wo das Urban-Gardening-Projekt mit einzelnen Beeten begann. Nach einer zwei Jahre andauernden Suche nach einem geeigneten Standort stellte die Stadt das jetzige Areal zur Verfügung. Im Kernteam der Initiative arbeiten etwa zehn Personen zusammen, wobei das Konzept von geteilter Verantwortung und kollektiver Entscheidung im Vordergrund steht. Anstatt dass jeder Beteiligte sein eigenes Beet hat, wird alles gemeinsam bewirtschaftet. Dies fördert nicht nur den Gemeinschaftssinn, sondern sorgt auch für eine respektvolle Handhabung der Ressourcen.
Die Zukunft des Wörth-Gartens
Doch der Wörth-Garten ist ein Projekt, das auf Zeit angelegt ist. Die Stadt plant, das Wörth-Areal zu entwickeln und neue Wohnräume zu schaffen, was seit Jahren Gegenstand intensiver Diskussionen zwischen Bürgern, Stadtverwaltung und Gemeinderat ist. Ein Bebauungsplan, der 2021 rückabgewickelt wurde, lässt die Zukunft des Gartens unsicher erscheinen. Eine Bürgerbeteiligung ist geplant, um die Anwohner in die Entscheidungsfindung einzubeziehen, doch wann die Bauarbeiten beginnen und welche Auswirkungen dies auf den Garten haben könnte, bleibt unklar. Bis dahin bleibt der Wörth-Garten ein lebendiger Ort für Gärtner und Begegnungen.
Ein wertvolles Gut in ungewisser Zeit
Bevor die ersten Bagger anrollen, ist der Wörth-Garten für viele Bürger in Nürtingen nicht nur ein Ort des Gärtnerns, sondern auch ein Symbol für Zusammenhalt und Innovation im Urban Gardening. Hier wird durch gemeinsames Arbeiten und die Pflege alter Sorten ein Lebensgefühl geschaffen, das zeigt, wie Gemeinschaft und Umweltschutz Hand in Hand gehen können. Ob der Garten seine Pforten öffnen kann, um künftige Generationen zu inspirieren und zu verbinden, bleibt jedoch abzuwarten.
Politische und gesellschaftliche Kontextualisierung
Das Urban-Gardening-Projekt „Bunte Beete“ in Nürtingen fällt in einen breiteren gesellschaftlichen Trend, der sich verstärkt mit der Nachhaltigkeit und der lokalen Agrarproduktion beschäftigt. In den letzten Jahren hat sich das Bewusstsein für ökologische Themen und die Bedeutung der Biodiversität zugespitzt. Laut einer Studie der Deutschen Umwelthilfe geben 70 % der Deutschen an, dass sie sich aktiv für Umweltschutz und Artenvielfalt einsetzen möchten. Solche Initiativen wie der Wörth-Garten fördern nicht nur die Sortenvielfalt in der Landwirtschaft, sondern stärken auch die Gemeinschaft und fördern das soziale Miteinander. Die Möglichkeit, selbst Gemüse anzubauen und sich an der Erhaltung alter Sorten zu beteiligen, trägt zur Relevanz von Urban Gardening in einer zunehmend urbanisierten Welt bei.
Politisch betrachtet wird das Thema also immer wichtiger. Städte suchen nach Lösungen zur Integration grüner Flächen, um das urbane Lebensumfeld zu verbessern und gleichzeitig eine nachhaltige Entwicklung zu fördern. Konzepte wie das von „Bunte Beete“ sind nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern sind auch ein Zeichen für bürgerschaftliches Engagement und Teilhabe an städtischen Entwicklungen. Insbesondere in Zeiten, in denen die Stadtentwicklung oft durch wirtschaftliche Interessen dominiert wird, ist ein solches Projekt von großem Wert.
Ökonomische Implikationen und mögliche Auswirkungen
Die Durchführung solcher Urban-Gardening-Projekte kann auch positive ökonomische Effekte haben. Untersuchungen zeigen, dass Gemeinschaftsgärten den Wert von Nachbarschaften steigern und somit zur Aufwertung von Stadtteilen beitragen können. Das betrifft nicht nur die Immobilienpreise, sondern auch die lokale Wirtschaft. Beispielsweise profitieren lokale Anbieter von Saatgut und Pflanzen von der Nachfrage durch Initiativen wie „Bunte Beete“.
Ein weiterer Aspekt ist die mögliche Schaffung von Arbeitsplätzen. Projekte, die sowohl die ökologischen als auch sozialen Bedürfnisse balancieren, können als Modell für zukünftige Stadtentwicklungen dienen. Das Vorbild des Wörth-Gartens könnte auch andere Städte inspirieren, ähnliche Initiativen ins Leben zu rufen. Diese können, je nach Konzept, in urbanen Zentren oder auch in ländlicheren Gebieten implementiert werden, was die Bedeutung solcher Projekte unterstreicht.
– NAG