Im Jahr 2023 hat der Kreis Esslingen eine erschreckende Zahl von 54 Suiziden zu verzeichnen. Anlässlich des Welttags der Suizidprävention am 10. September erinnert der Arbeitskreis Leben Nürtingen-Kirchheim (AKL) auf eindringliche Weise an diese tragischen Schicksale. Diese Kampagne wird durch die Ausstellung von 54 T-Shirts auf dem Esslinger Rathausplatz visualisiert, die symbolisch für jene Menschen stehen, die in diesem Jahr in ihrem Leid einen endgültigen Ausweg gesucht haben.
Die Zahlen sind nicht nur alarmierend, sie zeigen auch einen besorgniserregenden Trend: Laut Angaben des AKL ist die Zahl der Suizide in Deutschland 2022 auf über 10.000 gestiegen. Dies sind fast doppelt so viele Todesfälle wie aus Verkehrsunfällen, Mord oder Drogenmissbrauch zusammen. Lilly Weithofer, eine Sozialarbeiterin beim AKL, betont, wie essenziell es ist, das Thema Suizid aus der Tabuzone zu holen. „So viele Menschen sind betroffen, viele kennen jemanden, der mit Selbsttötungsgedanken kämpft“, erklärt sie.
Aufklärung und Unterstützung sind nötig
Die Berichterstattung über Suizid sollte nicht in Einzelschicksalen oder spezifischen Methoden verharren, warnt Weithofer. All dies könnte Personen in Gefahr bringen, die bereits mit Suizidgedanken kämpfen könnten. Stattdessen müsse der Fokus auf Hintergrundinformationen und Hilfsangeboten liegen. „Die Menschen sollten darüber informiert werden, dass Suizidgedanken überwindbar sind. Häufig handelt es sich um einen tiefen Wunsch nach Veränderung und nicht um einen Todeswunsch“, sagt die Expertin.
Im Jahr 2023 erhielt der AKL insgesamt 585 neue Anfragen nach Unterstützung, was eine klare Zunahme im Vergleich zu den Vorjahren darstellt. Auffällig ist, dass 63,9 % der Hilfesuchenden Frauen sind. Bei den Suiziden jedoch waren 38 von 54 Betroffenen männlich. Weithofer sieht einen Zusammenhang: Frauen suchen eher Hilfe, während Männer oft andere Bewältigungsmechanismen wählen, wie den Konsum von Alkohol, der das Suizidrisiko weiter steigert. Oft fällt es Männern schwerer, über ihre Gefühle zu sprechen, was in der Regel zu härteren Methoden führt, die auch häufig tödlicher enden. Experten glauben, dass in Wahrheit mehr Frauen als Männer Suizidversuche unternehmen, allerdings sind die Symptome bei Männern oft weniger ausgeprägt, was zu einer Unterdiagnose von psychischen Erkrankungen führt.
Die Gründe für Suizidgedanken sind komplex und sehr individuell. Diese können von persönlichen Krisen wie dem Tod eines geliebten Menschen, schweren Erkrankungen, Arbeitsplatzverlust bis hin zu Beziehungsproblemen reichen. Darüber hinaus sind langfristige, übermäßige Belastungen häufig der Auslöser für eine akute Hoffnungslosigkeit, die Menschen in die Verzweiflung treiben kann.
Mut zur Ansprache eines wichtigen Themas
„Was wir bieten, sind Entlastungsgespräche“, erklärt Weithofer. Dabei geht es darum, einen Raum zu schaffen, in dem offen über Probleme gesprochen werden kann. Die Berater helfen dabei, die wirren Gedanken zu sortieren und eine Sprache für die oft überwältigenden Gefühle zu finden. Diese Gespräche können entscheidend sein, um den Betroffenen das Gefühl zu geben, nicht allein zu sein und ihre Situation besser zu bewältigen.
Zusätzlich engagiert sich der AKL in der Aufklärung, insbesondere in Schulen. In der Arbeit mit jungen Menschen begegnet Weithofer oft dem Vorurteil, dass jemand, der Suizid erwähnt, nur Aufmerksamkeit sucht. „Das ist ein gefährlicher Irrtum, denn häufig steht ernsthafte Not dahinter“, warnt sie und ermutigt, in solchen Fällen das Gespräch zu suchen. Das kann der entscheidende Schritt sein, um jemandem zu zeigen: „Es ist mir nicht egal, wie es dir geht.“
Hinweis: Sollten Sie selbst mit suizidalen Gedanken kämpfen, ist die Telefonseelsorge ein vertrauliches und kostenloses Gesprächsangebot. Sie erreichen die Seelsorge rund um die Uhr unter den Telefonnummern 0 800 / 111 0 111 oder 0 800 / 111 0 222. Eine Liste weiterer Hilfsangebote ist auf der Website der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention zu finden.
Der Arbeitskreis Leben Nürtingen-Kirchheim e.V. unterstützt seit 1983 Menschen, die in Lebenskrisen stecken oder unter Suizidalität leiden, sowie deren Angehörige. Das Team besteht aus Fachkräften und ehrenamtlichen Krisenbegleitern. Weitere Informations- und Hilfsangebote stehen im Landkreis Esslingen und in der Region zur Verfügung.
– NAG