Das Cannstatter Wasen ist nach dem Münchner Oktoberfest das zweitgrößte Volksfest der Welt. In den letzten Tagen hat das Fest wieder viele Besucher angezogen, die sich auf 17 Tage voller Genuss und Feierlichkeiten freuen. Doch eine Frage beschäftigt viele: Ist es wirklich notwendig, traditionelle Trachten wie Dirndl und Lederhosen zu tragen, um die Festlichkeiten im Bierzelt zu genießen?
Diese Überlegung wirft berechtigte Zweifel auf. Was ist der tiefere Sinn dahinter, sich für ein paar Maß Bier in Tracht zu kleiden? Gibt es tatsächlich einen Unterschied im Geschmack des Bieres, wenn man ein Dirndl oder eine Lederhose trägt? Oder ist das alles ein bisschen übertrieben?
Tradition und Realität
Tradition wird oft mit dem Tragen von Trachtenmode assoziiert, die jedoch in den letzten Jahren mehr zu einem Element des Volksfest-Kultes geworden ist. Selbst in einem Bierzelt, das für Geselligkeit und Freiheit steht, scheint der Kleidungszwang für viele überflüssig. Ein gemütliches Bier in einer normalen Kleidung zu genießen, könnte genauso viel Freude bereiten.
Der Zusammenhang zwischen Tracht und Tradition scheint oft nicht mehr klar nachvollziehbar. Man könnte sogar sagen, dass die Trachtenmode nicht mehr viel mit der ursprünglichen Kultur der Region zu tun hat. Eine weitere Anekdote aus der Region zeigt, wie tief verwurzelt die Verbindung zu Trachten in der Gesellschaft ist: So heißt es von den Zuschauerrängen eines Fußballspiels zwischen VfB Stuttgart und Bayern München stets „Zieht den Bayern die Lederhosen aus!“. Diese Worte zeigen, dass die Trachten eine eigene Identität entwickelt haben, die oft Anlass zu Scherzen und Entgleisungen gibt.
In der Tat scheint die Tracht vor allem in städtischen Kontexten eher als „Uniform“ für Volksfeste Verwendung zu finden. Abgesehen von den großen Festen ist es kaum vorstellbar, dass jemand mit Dirndl oder Lederhose zu einer goldenen Hochzeit oder einer Firmenfeier erscheint.
Persönliche Erlebnisse mit Trachten
Auch viele haben ihre eigenen Erfahrungen mit Trachten gemacht. So erinnert sich jemand in dem Kontext daran, dass er als Kind einst eine „Krachlederne“ tragen musste – ein Outfit, das ihn in seiner Vergangenheit eher unbequem begleitete. Diese nostalgischen Rückblicke zeigen die Ambivalenz zu Trachten: Sie sind Teil der Kultur, können aber auch als Last empfunden werden.
Die Frage bleibt, ob das Fest wirklich nur dann vollständig gefeiert werden kann, wenn man sich in traditionelle Kleidung hüllt. Viele argumentieren, dass die Atmosphäre des Volksfestes für sich selbst spricht – unabhängig von den Outfits der Gäste. Tatsächlich könnte es eine neue Offenheit in der Volksfestkultur geben, die den Genuss von Bier und Geselligkeit in den Mittelpunkt rückt, anstatt die Menschen in milde Trachtentraditionen zu zwängen.
Bei all diesen Überlegungen ist und bleibt der Cannstatter Wasen ein Ort der Freude, des Teilens und des Feierns – vielleicht genau der richtige Anlass, um die Fesseln traditioneller Bekleidung abzulegen und einfach man selbst zu sein, während man anstoßt und das Leben feiert.