In den letzten drei Jahren zeigte sich ein bemerkenswerter Trend in der Polizeiarbeit Baden-Württembergs: Das Bundesland hat deutlich mehr Polizeibeamte zu Einsätzen an den Bund und andere Länder entsendet, als es selbst Unterstützung angefordert hat. Diese Entwicklung ruft nicht nur Besorgnis hervor, sondern wirft auch Fragen zu den Bedingungen auf, unter denen die eingesetzten Beamten arbeiten.
Politische Kontroversen und finanzielle Auswirkungen
Das baden-württembergische Innenministerium bestätigte, dass von 2021 bis 2023 insgesamt 522 Einsätze baden-württembergischer Polizeibeamter in anderen Bundesländern und für den Bund stattfanden. Im Gegensatz dazu wurden lediglich 12 Einsätze angefordert, was eine erhebliche Ungleichheit verdeutlicht. Während das Innenministerium erklärt, diese Kluft sei auf zufällige, weniger kräfteintensive Großeinsätze zurückzuführen, himmeln Kritiker eine andere Sichtweise an.
Überstunden und das „Rent-a-Cop“-Modell
Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) äußert sich kritisch zu diesem Vorgehen. Der Vorsitzende, Ralf Kusterer, bezeichnet die Praxis als „Rent-a-Cop“-Modell, was bedeutet, dass Polizisten wie Waren ausgeliehen werden. Er betont, dass diese Vorgehensweise nicht nur untragbar, sondern auch ungerecht ist, da die Beamten einen jährlichen Berg von 1,2 Millionen Überstunden anhäufen, während das Land in den letzten drei Jahren 8,4 Millionen Euro durch Ausgleichszahlungen für die entsandten Polizeikräfte erwirtschaftete. Kusterer sieht darin eine unzulässige Umverteilung von Geldern, die eigentlich den Polizeikräften zustehen.
Solidarität oder Belohnung?
Die FDP-Innenexpertin Julia Goll kritisiert die Lage ebenfalls und spricht von einem unfairen Geschäftsmodell, das auf den Kosten der Beamten beruht. Sie bemängelt, dass das Land höhere Zusatzzahlungen für Einsatzstunden erhält, insbesondere nachts und am Wochenende, während die Polizisten selbst oft nur unzureichende Zulagen erhalten. Goll sieht hierin eine erhebliche Missachtung der Arbeitsleistung der Beamten.
Rechtliche Rahmenbedingungen und mögliche Lösungen
Das Problem scheint in einem Verwaltungsabkommen verwurzelt zu sein, das die Kostenerstattung regelt. Nach Ansicht von Kusterer müsste der Kostenersatz die tatsächlichen Personalkosten widerspiegeln, um fair zu sein. Aktuell entstehe den aufnehmenden Bundesländern durch diese Regelung zwar auch ein finanzieller Aufwand, jedoch nicht in dem Maße wie eigene Personalausgaben. Diese Ungleichheit müsse dringend angegangen werden.
Ausblick auf die zukünftige Zusammenarbeit
Auf Anfrage äußerte sich das Innenministerium zurückhaltend zu den Vorwürfen und betonte die Notwendigkeit länderübergreifender Solidarität. Ein Sprecher wies darauf hin, dass die Polizei Baden-Württemberg in der Vergangenheit mehr Unterstützung geleistet hat, als sie selbst in Anspruch genommen hat. Die Situation könnte jedoch jederzeit umschlagen, sollte das Bundesland selbst in Not geraten. Dennoch stellt sich die Frage, ob die aktuellen Rahmenbedingungen tatsächlich im besten Interesse der Polizeikräfte und der allgemeinen Sicherheitslage in Deutschland sind.
– NAG