Deutschland

Ähnliche Zahlen, falsche Schlüsse: Analphabetismus in Deutschland erklärt

In Deutschland kursiert die falsche Behauptung, dass 12 Prozent der Bevölkerung analphabetisch sind und Migranten dafür verantwortlich gemacht werden, während eine aktuelle Studie zeigt, dass dies eine Fehlinterpretation ist und viele der Betroffenen keine Flüchtlinge sind.

In den sozialen Medien kursieren derzeit alarmierende Behauptungen über den Analphabetismus in Deutschland – insbesondere, dass etwa zwölf Prozent der Bevölkerung betroffen seien und dass Migranten die Quote zusätzlich erhöhen würden. Diese Zahlen, obwohl ursprünglich korrekt, werden häufig missverstanden und falsch interpretiert.

Die besagte Zahl stammt aus der Studie „Leo 2018 – Leben mit geringer Literalität“, in der rund 7.200 Personen im Alter von 18 bis 64 Jahren befragt wurden. Die Teilnehmer mussten über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen, um der Befragung sinnvoll folgen zu können. Die Ergebnisse zeigen, dass 6,2 Millionen Erwachsene in Deutschland nur eingeschränkte Lese- und Schreibfähigkeiten besitzen. Zum Vergleich: Bei einer vorangegangenen Studie aus dem Jahr 2011 lag die Zahl bei 7,5 Millionen.

Warum Migranten nicht erfasst sind

In vielen der viral geteilten Posts wird unterstellt, dass die hohe Analphabetenquote auf die Zuwanderung von Migranten zurückzuführen sei. Ein Blick auf die Studie zeigt jedoch, dass Migranten größtenteils nicht in die Erhebungen einbezogen wurden. Professorin Anke Grotlüschen, die an der Studie mitwirkte, erklärt dem ARD-Faktenfinder, dass Personen in Flüchtlingsunterkünften oder andere Gruppen von Neuankömmlingen nicht in der Untersuchung vertreten sind. Die Studien konzentrieren sich auf die Gesamtbevölkerung, die in Haushalten lebt, und berücksichtigen nicht Menschen in bestimmten Unterbringungseinrichtungen.

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Grotlüschen weist auch darauf hin, dass der Vergleich mit historischen Zahlen aus dem Kaiserreich nicht zutreffend ist. Damals wurde die Alphabetisierungsrate auf Grundlage von Heiratsregistern ermittelt, was keinen einheitlichen und klaren Vergleich mit den heutigen Erhebungsmethoden zulässt.

Die LEO-Studie erklärt die Alphabetisierungslevel

Die LEO-Studie geht detailliert auf verschiedene Alphabetsierungslevel ein, um die Situation besser darzustellen. Alpha-Level 1 steht für das Erkennen von Buchstaben, während Alpha-Level 2 und 3 sich mit Wörtern und Sätzen befassen. Ab Alpha-Level 4 verfügen die Betroffenen über hinreichende Lese- und Schreibfähigkeiten. Diese Unterscheidung ist wichtig, denn die Zwölf-Prozent-Quote bezieht sich auf Menschen, die als gering literarisiert gelten, was bedeutet, dass sie häufig in der Lage sind, einfache Sätze zu lesen und zu schreiben, jedoch oft Schwierigkeiten mit komplexeren Texten haben.

Über 52 Prozent der Betroffenen haben Deutsch als Muttersprache, und mehr als drei Viertel derjenigen, deren Erst- oder Zweitsprache nicht Deutsch ist, berichten, dass sie in ihrer Mutter- oder Erstsprache anspruchsvolle Texte verstehen können. Dies verdeutlicht, dass viele Migranten lediglich in der deutschen Sprache Schwierigkeiten haben.

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Im internationalen Vergleich liegt Deutschland im Mittelfeld. Laut Professorin Grotlüschen beläuft sich die Quote der gering literarisierten Menschen in anderen OECD-Ländern auf durchschnittlich 19,8 Prozent, was die Situation in Deutschland jedoch nicht als außergewöhnlich beschreibt. Von 2011 bis 2018 konnte zudem ein Rückgang um mehr als eine Million gering literarisiert Menschen verzeichnet werden.

Falsche Darstellungen aus Österreich

Ein weiterer Punkt in der Diskussion sind Zahlen aus Österreich, die als Beweis dafür herangezogen werden, dass 70 Prozent der geflüchteten Personen dort Analphabeten seien. Diese Aussage ist irreführend, denn die Daten beziehen sich lediglich auf Menschen mit einem erwiesenen Alphabetisierungsbedarf, was nicht bedeutet, dass sie nichts lesen oder schreiben können. Der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) hat daher einen Faktencheck veröffentlicht, um die Missverständnisse zu klären.

Der ÖIF stellt klar, dass hier zwischen primären Analphabeten und Zweitschriftlernenden unterschieden werden muss. Letztere haben schon Kenntnisse in einem anderen Schriftsystem, was nicht bedeutet, dass sie keine Fähigkeiten in ihrer Muttersprache besitzen. Die Analphabetenzahlen beziehen sich folglich nur auf einen bestimmten Personenkreis und sind nicht pauschal auf alle geflüchteten Menschen übertragbar.

Für Deutschland liegen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) keine spezifischen Daten zum Alphabetisierungsbedarf von Geflüchteten vor. Die Behörde betont, dass der Alphabetisierungsbedarf unterschiedlich ist, abhängig von individueller Bildungsgeschichte und Herkunft. Laut BAMF können viele Flüchtlinge, die die lateinische Schrift erlernen, auf ihren vorhandenen Lese- und Schreibfähigkeiten aufbauen, was den Prozess erleichtert.

Die Diskussion um den Analphabetismus in Deutschland bleibt also komplex und erfordert eine differenzierte Betrachtung, um Missverständnisse auszuräumen und fundierte Informationen zu verbreiten. Für eine genaue Analyse und Informationen ist es wichtig, sich auf seriöse Quellen zu stützen und die unterschiedlichen Aspekte von Analphabetismus und Alphabetisierungsbedarf zu verstehen. Mehr Informationen dazu sind in einem ausführlichen Bericht auf www.tagesschau.de zu finden.

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