Die Vorstellung, dass das einfache Sandwich mit Ananas und Schinken einst als Delikatesse galt, ist für viele heute kaum vorstellbar. Der Hawaii-Toast, in den 1950er Jahren von TV-Koch Clemens Wilmenrod kreiert, hat in der deutschen Esskultur einen besonders einprägsamen Platz eingenommen. Diese unkonventionelle Kombination verströmte eine Aura des Exotischen, die den Nachkriegs-Deutschen ein Gefühl von Luxus und Neuheit vermittelte.
In den letzten Jahrzehnten hat sich der Hawaii-Toast kontinuierlich gewandelt. Während das Originalgericht mit der Zeit immer mehr in Vergessenheit geriet, wurde es zunehmend durch gefrorene und vorgefertigte Varianten ersetzt, die nichts mehr mit der kreativen Essensgestaltung der 50er Jahre gemein haben. Diese Entwicklungen führen zu einer Mischung aus Nostalgie und Bedauern – eine Reflexion über die Veränderungen in der deutschen Esskultur. Derlei Gedanken werden auch in dem aktuellen Buch „Deutsche Dinge“ von Andreas Matlé angesprochen, das die kulturellen Objekte und deren Geschichten in den Mittelpunkt rückt.
Der Einfluss der Trimm-Dich-Bewegung
Ein weiteres Augenmerk wird in dem Buch auf die Trimm-Dich-Bewegung gerichtet, die in den 1970er Jahren ins Leben gerufen wurde. Der kleine Trimmy, das Maskottchen dieser Fitnessinitiative, war in vielen deutschen Haushalten omnipräsent. Der Aufruf zu mehr Bewegung sollte nicht nur die Gesundheit fördern, sondern auch dem Wohlstand und der Produktivität des Landes zugutekommen. Der Autor Andreas Matlé beschreibt die skurrilen Szenen, in denen Männer mit bauchigen Körpern das Sporttreiben probierten – ein Bild, das heute in schallendem Gelächter untergeht.
Matlé gibt Einblicke in das Lebensgefühl und den Zeitgeist der Jahre, die von der Trimm-Dich-Bewegung bis zur Einführung von Fitness-Apps reichten. Er unterstreicht, wie bedeutend Fitness und Bewegung für den sozialen Zusammenhalt und die Gesundheitsaufklärung waren und sind. Der Umbau von Fitnessstudios zu sozialen Gemeinschaftsräumen ist nur eines der vielen Phänomene, die Matlé in seinem Buch beleuchtet.
Ein Rückblick auf kulinarische Veränderungen
Die nostalgische Betrachtung geht weit über den Hawaii-Toast hinaus und schließt auch andere gastronomische Meilensteine mit ein. Der Henkelmann, ein Getränkebehälter der 50er Jahre, und der Lebertran, der oft unfreiwillig konsumiert wurde, sind prägnante Symbole dieser kulinarischen Ära. Sie schildern nicht nur individuelle Erfahrungen, sondern zeichnen ein umfassendes Bild der deutschen Essgeschichte.
Ein Stück Geschichte wird lebendig, wenn Matlé darüber berichtet, wie sich das Essen von Generation zu Generation verändert hat und welche kulturellen Strömungen die Essgewohnheiten geprägt haben. Die Erzählung des Hawaii-Toasts illustriert nicht nur einen tiefen Wandel in der Ernährung, sondern ist auch ein Spiegelbild der ästhetischen und kulturellen Paradigmen, die Deutschland durchlebt hat.
Der Autor hinterlässt den Leser mit der Frage, wie der Genuss und die Zubereitung von Speisen in Zukunft aussehen könnten. Matlé lädt dazu ein, sich selbst auf eine Zeitreise zu begeben, um eigene Erinnerungen und deren Bedeutung im Kontext der deutschen Kultur zu reflektieren. Wer mehr über diese faszinierenden Geschichten erfahren möchte, kann sein Buch „Deutsche Dinge“ beim nächsten Lesungsevent kennenlernen, wo es mit Livemusik und – passend dazu – Hawaii-Toast präsentiert wird.
Diese tiefergehende Auseinandersetzung mit den Alltagsgegenständen und Esskulturen liefert uns einen einzigartigen Einblick in die Entwicklungsstränge der Bundesrepublik Deutschland. Es bleibt spannend zu beobachten, inwiefern uns diese kulinarische Reise weite Horizonte eröffnen wird, während wir über den Zustand unserer Essgewohnheiten nachdenken.