Am 7. September 1949 fand in Bonn die erste Sitzung des Deutschen Bundestags statt, ein bedeutender Moment in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Diese Zusammenkunft stellte den Neuanfang der parlamentarischen Demokratie dar und fiel in eine Zeit großer Unsicherheiten. Deutschland war nach dem Zweiten Weltkrieg in zwei Teile geteilt, und das Land war in einem katastrophalen Zustand – sowohl materiell als auch moralisch. Die Alliierten hatten den Nazi-Staat besiegt, doch zehntausende ehemalige Soldaten waren weiterhin in sowjetischer Kriegsgefangenschaft.
In einer provisorischen Turnhalle der Pädagogischen Akademie versammelten sich die Abgeordneten, um die Geschicke des neu gegründeten Staates zu lenken. Der Alterspräsident Paul Löbe eröffnete die Sitzung und stellte die berechtigten Erwartungen des Volkes an den Bundestag heraus. Er sprach von der Notwendigkeit einer stabilen Regierung, einer gesunden Wirtschaft und einer neuen sozialen Ordnung, um das Land in eine bessere Zukunft zu führen.
Der Bundestag und seine Herausforderungen
Im Vergleich zum Bundestag nahm der Bundesrat seine ersten Sitzungen sogar früher auf. Während der Bundestag feierlich mit einem Beethoven-Stück begann, wurde im Bundesrat Bach gespielt. Diese unterschiedlichen Traditionen reflektierten die föderale Struktur Deutschlands, in der der Bundestag Gesetze erläutet und der Bundesrat die Interessen der Länder wahrt.
Im Laufe der 75 Jahre seines Bestehens war der Bundestag immer wieder Schauplatz bedeutender Debatten und Entscheidungen. Einige Sitzungen brachten es auf Rekordzeiten – so dauerte die Diskussion zur Wiederbewaffnung Deutschlands im Jahr 1952 erstaunliche 20 Stunden, während die Kontroversen um die Ostverträge 1972 sogar 22 Stunden in Anspruch nahmen. Doch auch scheinbar weniger dramatische Diskussionen hatten oft eine große gesellschaftliche Relevanz, wie das Geplänkel über die Sterbehilfe oder Ethikfragen zu Beginn des 21. Jahrhunderts gezeigt hat.
Eine der folgenschwersten Sitzungen fand am 20. Juni 1991 statt, als die Abgeordneten fast zwölf Stunden lang über den Umzug von Bonn nach Berlin berieten. Der abschließende Beschluss fiel mit knapper Mehrheit und stellte eine logistische Herausforderung dar: 50.000 Kubikmeter Möbel mussten in 24 Zügen in die neue Hauptstadt transportiert werden, wo der Bundestag im September 1999 offiziell seine Arbeit aufnahm.
Politik im Bundestag: Emotionen und Herausforderungen
Der Bundestag war von Beginn an ein Ort leidenschaftlicher Diskussionen. Alte Konflikte und neue Politiken trugen zur Dynamik des Parlaments bei. So appellierte Löbe in seiner Eröffnungsansprache an die Abgeordneten, nach den erbitterten Wahlkämpfen einen respektvollen Umgang zu pflegen. Dennoch blieben verbale Entgleisungen nicht aus, und der politische Diskurs, angeheizt durch unterschiedliche Meinungen und die Rhetorik mancher Abgeordneter, war oft hitzig.
Besonders bemerkenswert war der Einfluss der AfD, die seit ihrer Einführung im Bundestag zu einer Verschärfung der Debattenkultur führte. Die zunehmende Polarisierung des politischen Klimas, besonders in der jüngeren Vergangenheit, hat den politischen Diskurs verändert und die Herausforderungen für demokratische Grundwerte sichtbar gemacht.
Der Bundestag hat sich jedoch stets weiterentwickelt. Der Anteil weiblicher Abgeordneter ist mit etwa 35 Prozent nach wie vor niedrig, während die Zahl insgesamt stetig stieg. Bei den Wahlen 2021 erreichte das Parlament mit 736 Abgeordneten eine Rekordgröße, die jedoch durch die anstehende Wahlrechtsreform auf 630 Mandate herabgesetzt wird.
Um 75 Jahre Bundestag zu feiern, sind besondere Veranstaltungen geplant. Am Freitag beginnt der Bundestag mit seinem jährlichen «Tag der Ein- und Ausblicke» und am Dienstag wird es eine Gedenkveranstaltung zur Konstituierung des Parlaments vor 75 Jahren geben. Auch der Bundesrat kehrt anlässlich des Jubiläums zu seiner alten Wirkungsstätte zurück. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird an diesem Festakt teilnehmen, dessen Amt ebenfalls 75 Jahre alt wird, seit Theodor Heuss am 12. September 1949 gewählt wurde.
– NAG