70 Jahre Neutralität: Ein Blick auf Österreichs Identität im Wandel
Am 24.10.2025 feiert Österreich 70 Jahre Neutralität; eine umstrittene Identität, die zunehmend hinterfragt wird.

70 Jahre Neutralität: Ein Blick auf Österreichs Identität im Wandel
Am 24. Oktober 2025 jährt sich der Beschluss des Verfassungsgesetzes zur immerwährenden Neutralität Österreichs zum 70. Mal. Diese lange Tradition prägt nicht nur die Außenpolitik des Landes, sondern wird auch von der Bevölkerung stark verankert wahrgenommen. Laut einer aktuellen Umfrage sind 80 Prozent der Österreicher davon überzeugt, dass die Neutralität Teil ihrer nationalen Identität ist. Dennoch zeigt sich ein interessanter Trend: Jüngere Generationen, insbesondere im Alter von 18 bis 29 Jahren, verknüpfen Neutralität weniger stark mit ihrer Identität als ältere Bürger. Hier sind es nur 65 Prozent, im Vergleich zu 88 Prozent unter den über 60-Jährigen.Vienna.at berichtet, dass der Politikwissenschaftler Martin Senn an der Universität Innsbruck das „Austrian Foreign Policy Panel Project“ leitet, um die Meinungen der Österreicher zur Außen- und Sicherheitspolitik zu ergründen.
In den letzten 20 Jahren hat Senn beobachtet, dass die geringe Präsenz des Themas Neutralität im öffentlichen Raum den Wahrnehmungswandel bei der jüngeren Generation beeinflusst hat. Die geopolitischen Entwicklungen, insbesondere der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, haben jedoch dazu geführt, dass die Diskussion über die Neutralität wieder in den Vordergrund trat. Der Umfrage zufolge befürworten 59 Prozent der Befragten die Beibehaltung der Neutralität in ihrer derzeitigen Form.
Meinungsvielfalt zur Neutralität
Die Studienteilnehmer äußerten zudem unterschiedliche Meinungen zur Zukunft der Neutralität. 36 Prozent plädieren für eine umfassendere Neutralität, 13 Prozent unterstützen einen NATO-Beitritt, während 9 Prozent für die Aufgabe der Neutralität sind, ohne der NATO beizutreten. Senn beschreibt die Neutralität als „politischen Mythos“, der in einer sich wandelnden Umgebung Orientierung und Halt bietet. Er plädiert dafür, die Diskussion über die Neutralität behutsam zu führen, um klare Perspektiven für das 21. Jahrhundert zu entwickeln.
Eine detaillierte Analyse der Neutralität hat jüngst auch die Studie „Österreichs Neutralität – Rolle und Optionen in einer sich verändernden Weltordnung“ des Austrian Institute for European and Security Policy (AIES) hervorgebracht. Diese Studie, die am 8. September 2023 veröffentlicht wurde, basiert auf einer Umfrage unter über 100 Expertinnen und Experten aus Forschung, Diplomatie und Militär und befasst sich mit verschiedenen Aspekten der Neutralität Österreichs.AIES berichtet, dass neben der Analyse von Fragen und Thesen auch eine soziale Netzwerkanalyse von über 65.000 Tweets zur Thematik durchgeführt wurde, was den Einfluss der sozialen Medien auf die Wahrnehmung der Neutralität untersucht.
Rechtliche und politische Dimensionen der Neutralität
Neutralität hat sowohl politische als auch rechtliche Dimensionen. Laut einem Policy Brief des Österreichischen Gesellschafte für europäische und internationale Politik (ÖGFE) spielt sie in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) eine geringe Rolle. Darüber hinaus sind viele Bürger sich der Auswirkungen des EU-Beitritts auf die Neutralität nicht bewusst. Österreich hat sich durch verschiedene Mechanismen innerhalb der EU konstruktiv an politischen Maßnahmen beteiligt, lässt jedoch gleichzeitig die prinzipiellen Aspekte der Neutralität unangetastet. Beispielsweise erlaubt die Neutralität Nichteinmischung in zwischenstaatliche Konflikte, doch wirtschaftliche Maßnahmen, wie Sanktionen, sind rechtlich unproblematisch.
Die Debatte um die österreichische Neutralität ist vielschichtig und wird durch die aktuellen geopolitischen Entwicklungen sowie die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Bevölkerung geprägt. Angesichts der bevorstehenden Jubiläumsfeierlichkeiten sind klare Diskurse über die Zukunft von Österreichs politischer Identität und Neutralität unerlässlich.