Die Wahlen zum Thüringer Landtag haben eine besorgniserregende Situation zutage gefördert, die auf große Veränderungen in der politischen Landschaft hinweist. Mit 32,8 Prozent der Stimmen war die AfD die stärkste Kraft, was nicht nur bei den Bürgern, sondern auch bei Kulturschaffenden auf Alarm stoßt. Steffen Mensching, der Intendant des Theaters Rudolstadt, äußerte während eines Gesprächs mit MDR KULTUR seine schockierten Gedanken über das Wahlergebnis. Er beschreibt die Situation so, dass es für viele bedeutend ist, wie eine große Anzahl von Wählern eine Partei wählt, die man klar als faschistisch verstehen kann.
Die Befürchtungen gehen über die Politik hinaus und greifen in das Herz der Kultur- und Bildungseinrichtungen in Thüringen. In der Bauhaus-Universität Weimar äußerte der Präsident Peter Benz seine Besorgnis über die zukünftige Fähigkeit, fähige Studierende und Lehrende zu gewinnen. „Wir verstehen uns als Raum des offenen, auf wissenschaftlichen Prinzipien basierenden Diskurses. Dazu brauchen wir zwingend eine Vielfalt von Positionen und damit auch von Personen“, erklärte er. Doch wie wird es möglich sein, diese Vielfalt zu erhalten, wenn das Wahlergebnis weitere politische Veränderungen mit sich bringen könnte?
Bedenken hinsichtlich der Gedenkstättenarbeit
Ein weiterer Punkt auf der Agenda der besorgten Stimmen ist die potentielle Auswirkungen auf die Gedenkstätten in Thüringen, namentlich Buchenwald und Mittelbau-Dora. Jens-Christian Wagner, der Direktor der Gedenkstätten, warnte vor einem möglichen Anstieg geschichtsrevisionistischer Ideologien. Insbesondere die Vorstellung einer Regierungsbeteiligung der AfD könnte bedeuten, dass die finanziellen Mittel zur Unterstützung historischer Bildungsinitiativen gefährdet sind. „Im schlimmsten Fall könnte das bedeuten, dass wir unsere politisch-historische Bildungsarbeit in Buchenwald und Mittelbau-Dora einstellen müssen“, sagte er.
Steffen Mensching sieht die derzeitige Situation auch als eine persönliche Herausforderung. Die Wahlentscheidung vieler Thüringer habe ihn sehr betroffen gemacht. „Wenn jeder Dritte diese Partei gewählt hat, beginne ich zu fremdeln“, gibt er offen zu. Damit stellt er nicht nur die politische Situation, sondern auch die eigene kulturelle Identität in Frage. Laut Mensching sei es jedoch nicht allein die Aufgabe des Theaters, die gesellschaftlichen Meinungen zu verändern.
Fremdeln mit der Demokratie
Kay Kuntze, der Generalintendant am Theater Altenburg-Gera, ist sich ebenfalls bewusst, dass es möglicherweise einen allgemeinen Vertrauensverlust in die Demokratie gibt. „Ich habe zunehmend den Eindruck, dass viele Menschen das Vertrauen in die Demokratie verloren haben“, sagte er und betonte, dass die Menschen anfingen, sich von demokratischen Werten zu distanzieren und die Frage aufkäme, ob nicht eine neue Gesellschaftsform notwendig sei. Die Komplexität und Anstrengung der politischen Beteiligung könnten die Bürger weiter entfremden.
Doch es gibt auch Stimmen der Hoffnung. Martin Kranz, Intendant der Achava-Festspiele, bleibt optimistisch und hebt hervor, dass trotz des Wahlergebnisses 70 Prozent der Wähler noch für eine demokratische politische Kultur stehen. Für die Zukunft wünscht sich Kranz eine stabile und zuverlässige Regierung in Thüringen, um die interkulturellen Bildungsprojekte fortzuführen, die für viele von großer Bedeutung sind.
Die Wahlen in Thüringen zeigen, wie stark politische Einstellungen in der Gesellschaft verankert sind und welche Fragen sich für die kulturellen Institutionen der Region aufwerfen. Der Diskurs über Demokratie, Kultur und Identität wird sicherlich noch lange anhalten und viele herausfordernde Diskussionen anstoßen.
– NAG