Am Wahlabend betrat Björn Höcke, Spitzenkandidat der AfD in Thüringen, das Fernsehstudio der ARD. Moderator Gunnar Breske begrüßte ihn mit den Worten: „Sie sind die Partei mit den meisten Stimmen an diesem Wahlabend. Sie werden aber auch als gesichert rechtsextrem eingestuft.“ Diese Einstufung durch den Verfassungsschutz sorgt jedoch für Kontroversen und Zweifel.
Höcke reagierte sofort und unterbrach den Moderator: „Das musste ja gerade wieder sein.“ Breske entgegnete: „Ist eine Tatsache.“ Höcke fragte weiter: „Wollen wir uns darüber unterhalten?“ Doch bevor eine tiefere Diskussion folgte, forderte Höcke: „Dann hören Sie bitte auf, mich zu stigmatisieren. Wir sind die Volkspartei Nummer eins in Thüringen. Sie wollen doch nicht ein Drittel der Wähler als rechtsextrem einstufen.“
Anforderungen des Verfassungsschutzes
Die Bezeichnung als „gesichert rechtsextrem“ kommt vom deutschen Inlandgeheimdienst, dem Verfassungsschutz. Diese Behörde differenziert zwischen Prüffällen, Verdachtsfällen und gesichert extremistischen Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung. Seit März 2021 gelten die Thüringer AfD und ihre Jugendorganisation, die Junge Alternative (JA), als „erwiesen rechtsextremistisch“. Dies betrifft ebenso den sächsischen Landesverband der AfD.
Die Hauptkritik des Verfassungsschutzes richtet sich gegen den „ethnisch-kulturellen Volksbegriff“, den Teile der AfD vertreten. Dieser sei nicht neutral, sondern durch abwertende Haltungen gegen zugewanderte Menschen geprägt und verstoße somit gegen die Menschenwürde. Diese Einschätzung findet sich im Bericht der Thüringer Behörde aus dem Jahr 2022.
Unterschiedliche Ansichten über den Volksbegriff
In seinem Buch „Gesinnungspolizei im Rechtsstaat?“ betont der frühere SPD-Minister Mathias Brodkorb, dass der ethnische Volksbegriff von Verfassungsschutzbehörden nicht einheitlich als rechtsextrem bewertet wird. Solche Bewertungen variieren und stehen manchmal im Widerspruch zu anderen offiziellen Veröffentlichungen. Auch das Grundgesetz kennt einen „deutschen Volksbegriff“, und die Bundesregierung fördert die „ethnokulturelle Identität“ der Auslanddeutschen. Das wirft Fragen über die Objektivität dieser Einstufungen auf.
Die Einstufung durch den Verfassungsschutz als „Tatsache“ darzustellen, kann daher irreführend sein. Es handelt sich dabei um die Interpretation einer weisungsgebundenen Behörde, die politischen Beamten unterstellt ist. Dies bedeutet, dass die Einschätzung zwar keinen rechtsextremen Geist in der AfD ausschließt, aber auch nicht als wissenschaftlich unumstritten gelten kann.
Änderung des Fokus im Verfassungsschutz
Seit seiner Gründung 1950 konzentrierte sich der Verfassungsschutz vor allem auf die Überwachung des linken bis linksradikalen Spektrums. Zum Beispiel wurde Bodo Ramelow, Ministerpräsident und Linkenpolitiker in Thüringen, jahrelang überwacht, bis das Bundesverfassungsgericht entschied, dass diese Überwachung verfassungswidrig sei.
Nach der Abberufung von Hans-Georg Maassen änderte sich der Fokus unter dem neuen Präsidenten Thomas Haldenwang auf die verstärkte Überwachung der rechten Szene, insbesondere der AfD. Während Maassen 2016 Forderungen der SPD ablehnte, die AfD zu überwachen, bekämpfte Haldenwang die Partei mit Nachdruck. Im Juni des letzten Jahres sagte Haldenwang in einem ZDF-Interview: „Nicht allein der Verfassungsschutz ist dafür zuständig, die Umfragewerte der AfD zu senken.“ Diese Aussage wirft die Frage auf, ob der Verfassungsschutz unter Haldenwang die AfD neutral bewerten kann.
Die Diskussion über die Einstufung der AfD als rechtsextrem spiegelt somit nicht nur politische Spaltung wider, sondern auch die unterschiedlichen Interpretationen und Herangehensweisen innerhalb und außerhalb staatlicher Institutionen.
– NAG