In Wien wird momentan ein ganz besonderes Straßenkunst-Festival gefeiert: Das Calle Libre ist in vollem Gange. Bis Freitag haben Kunstliebhaber die Möglichkeit, die Entstehung beeindruckender Wandmalereien direkt vor Augen zu führen. Der Weg durch die Leopoldstadt wird zum Schaulaufen der Schaffenden, die städtische Flächen in ein kreatives Farbenspiel verwandeln. Besonders ein Ort sticht hervor: die Perspektivstraße, wo der Künstler Dante gerade an einem Mural arbeitet, das eine Herde Schafe repräsentieren wird. Die ältere Dame, die fasziniert zusieht, spiegelt die positive Entwicklung der Akzeptanz von Streetart wider, die in der Vergangenheit oft mit illegalen Graffitis assoziiert wurde.
Die Wurzeln des Calle Libre Festivals reichen zehn Jahre zurück und entstammen der Reise von Jakob Kattner, der als Rapper Big J bekannt ist. Bei seinem Besuch in mehreren lateinamerikanischen Ländern lernte er die lebendige Straßenkunstszene kennen. Daraus entstand die Idee, die beeindruckenden Kunstwerke nach Wien zu holen. Zusammen mit Laura Schützeneder lud er Künstler ein, ihre Werke an den Wänden der Stadt zu verwirklichen. Diese Idee stieß auf großes Interesse und war der Grundstein für das Festival, das heute jährlich zahlreiche nationale und internationale Künstler anzieht.
Wandmalereien statt Schmierereien
Eine bemerkenswerte Wandlung hat das Bild von Streetart in der Stadt durchgemacht. Nicolas Krems, der seit vier Jahren beim Calle Libre Festival mitarbeitet, berichtet von den Veränderungen in der Wahrnehmung der Menschen. Während die älteren Generationen oft noch von „Schmierereien“ sprachen, erleben die meisten mittlerweile die Freude und die ästhetische Bereicherung durch die Mural-Kunst. Diese positive Entwicklung zeigt sich auch in der Interaktion mit Anwohnern, die anfragen, ob ihre Denken über beschmierte Fassaden durch Kunstwerke ersetzt werden kann.
Sowohl die Künstler als auch die Hausbesitzer sind in die kreative Planung involviert; viele der Wandmalereien entstehen mit offizieller Genehmigung und tragen zur Verschönerung der Stadt bei. Ein Unterschied zu typischen Graffitis ist dabei der Aufwand: Murals sind oft tagelange Arbeiten, bei denen Künstler sorgfältig mithilfe von Wasserrastern und Symbolen ihre Entwürfe umsetzen. Bei der Umsetzung wird in der Regel eine kleine Skizze erstellt, die dann auf die Wand projiziert wird. So werden die Designs präzise auf die großen Flächen übertragen, was dem Prozess eine professionelle Note verleiht.
Das diesjährige Motto des Festivals, „Community“, bringt die Veranstalter dazu, die Bedeutung gemeinschaftlicher Werte in Krisenzeiten zu betonen. Angesichts von Herausforderungen, wie zum Beispiel Konflikten und dem Umdenken in der Gesellschaft, möchten sie die Gemeinschaft in den Vordergrund rücken. Das Abschlussparty am Samstag wird die Vielfalt und die kreative Energie beleuchten, die bei diesem Festival zum Leben erweckt wurde. Für alle, die die beeindruckenden Wandmalereien und die Künstler hautnah erleben möchten, bleibt noch bis zum Ende der Woche Zeit.
Die Straßen von Wien erblühen nicht nur in puncto Kunst, sondern auch als Plattform für kulturellen Austausch. Ein Beispiel ist der brasilianische Künstler Alex Senna, der am Vorgartenmarkt ein weiteres Mural erschafft. Seine Technik der Verwendung von Symbolen auf den Wänden sorgt nicht nur für innovative Kunstwerke, sondern auch für eine klare Unterscheidung von übergangenem Graffiti zu legitimer Kunst.
Die nächsten Tage bieten somit den perfekten Anlass, um die Werke der verschiedenen Künstler zu bewundern und zu genießen. Suchende finden die Wege in der Leopoldstadt, wo die große Vielfalt der Streetart-Kultur nicht nur eine visuelle Freude, sondern auch ein Zeichen für den kulturellen Reichtum Wiens ist. Wenn man durch diese Straßen wandelt, wird die Transformation der städtischen Landschaft sichtbar—von monotonen Wänden zu lebhaften Kunstgalerien im Freien.