In einer bemerkenswerten Initiative zur Kriminalitätsprävention arbeiten Polizei und Sozialarbeiter eng zusammen, um Jugendlichen wie Vera, deren Schicksal von Drogen und Straftaten geprägt war, einen alternativen Weg zu bieten. Mit 14 Jahren hatte Vera die Schule bereits über zwei Jahre nicht mehr besucht und war mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt geraten, was Kriminalhauptkommissar Jakob Liebernickel auf sie aufmerksam machte. Die Polizei verfolgte den Ansatz, Jugendliche frühzeitig zu unterstützen, bevor sie in eine tiefere Kriminalitätskarriere abrutschen.
„Kurve kriegen“ ist der Name dieser innovativen Initiative im Kreis Heinsberg, die vom NRW-Innenministerium gefördert wird. Bei dieser Initiative wird eine Art Risikoscreening durchgeführt, um potenzielle Teilnehmer zu identifizieren. Das bedeutet, dass alles von Wohnort bis zu vergangenen Straftaten berücksichtigt wird. Die Idee ist, die Hintergründe der Kriminalität zu verstehen und die jeweiligen Lebenskontexte der Jugendlichen unter die Lupe zu nehmen.
Die Vorgehensweise der Initiative
Liebernickel und sein Kollege Jürgen Heitzer sind regelmäßig mit Fällen konfrontiert, die von Kindern und Jugendlichen zwischen acht und sechzehn Jahren stammen. Sie ermitteln, welche jungen Menschen dringend Unterstützung benötigen, und leiten diese dann an die Initiative „Kurve kriegen“ weiter. Dies geschieht in der Regel in Zusammenarbeit mit den Familien der Jugendlichen. Auch wenn diese Besuche unangekündigt sind, begegnen die meisten Eltern dem Angebot positiv. „Wir machen den Familien klar, dass wir neue Wege gehen und Fachleute einbinden“, erklärt Liebernickel.
Die Betreuung in dieser Initiative geht weit über das hinaus, was Jugendliche normalerweise vom Jugendamt erwarten können. Während Mitarbeiter dort oft für viele Fälle verantwortlich sind, kann in „Kurve kriegen“ eine individuelle Betreuung durch Pädagogen stattfinden. Derzeit betreuen zwei Pädagoginnen insgesamt 16 junge Menschen, was maßgeschneiderte Unterstützung im Alltag ermöglicht.
Für Vera war die anfängliche Reaktion auf das Programm jedoch alles andere als positiv. „Da mache ich auf gar keinen Fall mit“, wehrte sie ab. Dennoch unterzeichneten ihre Eltern die erforderlichen Formulare, um ihre Tochter in die Initiative aufzunehmen. Die anschließende Zusammenarbeit zwischen Vera und der Sozialarbeiterin Susanne Franken stellte sich als eine echte Herausforderung heraus, da Vera große Mauern des Misstrauens aufgebaut hatte. ”Die Mauer war schon enorm dick“, erinnert sich Franken.
Die Sozialarbeiterin begleitete Vera Schritt für Schritt, immer im Einklang mit ihrem Tempo. Sie erforschte die Probleme, die zu Veras Schwierigkeiten führten, und half ihr, an diesen zu arbeiten. Dabei stellte sich schnell heraus, dass es in ihrem Zuhause viele Konflikte gab, die letztlich zu ihrem Weglaufen und der Begehung von Straftaten führten. Ein starker Punkt waren der oft schwierige Umgang mit ihrem Stiefvater und die familiäre Drogenproblematik.
Nachdem Vera die Jugendarrestanstalt von innen sah und mit dem Gefühl konfrontiert wurde, hinter Gittern zu sein, bereitete sie sich auf die Änderung ihres Lebensstils vor. Unter Tränen akzeptierte sie eine spätere Verurteilung zu einem einwöchigen Jugendarrest. Als sie schließlich entlassen wurde, konnte sie kaum fassen, dass sie es geschafft hatte. „Ich kann es nicht glauben, ich habe es geschafft“, jubelte sie.
Diese Erlebnisse trugen dazu bei, dass Vera endlich den Entschluss fasste, wieder zur Schule zu gehen und die Kriminalität hinter sich zu lassen. Mit der Unterstützung von Franken wurden ihre Freizeitbeschäftigungen strukturiert, und die Teilnahme an sozialen Trainingskursen half ihr, sich wieder in den Familienkreis zu integrieren. Mittlerweile ist Vera seit über einem Jahr straffrei, und ihr Engagement in der Initiative zeigt Früchte.
Insgesamt hat „Kurve kriegen“ seit seinem Start vor zweieinhalb Jahren bereits 33 Teilnehmer aufgenommen. Fünf von ihnen konnten mittlerweile mit einer positiven Sozialprognose entlassen werden, was zeigt, wie wichtig frühzeitige Hilfe sein kann, um jungen Menschen eine zweite Chance zu bieten. „Es ist ein Erfolg, wenn Jugendliche wieder in die Gesellschaft eingefügt werden können“, hebt Liebernickel hervor. Diese Ergebnisse unterstreichen die Effektivität des Programms, das weit über die herkömmlichen Strafen hinausgeht.