Die Luft wird dünner für das deutsche Bildungssystem, denn die Herausforderung, die Bildungsmisere zu bewältigen, wird immer deutlicher. Ein erheblicher Teil der Schüler absolviert heutzutage das Abitur, doch die Note allein sagt zunehmend wenig über die tatsächliche Leistungsfähigkeit aus. Ein Alarmzeichen für Bildungsexperten und Lehrer, die über die alarmierenden Rückgänge im Leistungsniveau diskutieren müssen.
Besonders die Gymnasien stehen unter Druck. In städtischen Gebieten gehören mittlerweile mehr als 50 Prozent der Schulabgänger zu den Abiturienten, während es in ländlichen Regionen, wie im Landkreis Rotenburg (Wümme), mehr als 40 Prozent sind. Bei näherem Hinsehen zeigt sich ein bemerkenswerter Widerspruch: Trotz des Anstiegs der Abiturienten sinken kontinuierlich die tatsächlichen Leistungen. Das führt zu einer besorgniserregenden Entwicklung, die in einer sinkenden Leistungsbereitschaft und einer Absenkung der Ansprüche wurzelt.
Sinkende Ansprüche im Bildungssystem
Das Phänomen des scheinbaren Widerspruchs – schlechtere Leistungen bei gleichzeitig besseren Noten – ist das Resultat eines langwierigen, gesellschaftlichen Wandels. Dieser Wandel wird vor allem von Politik und Wirtschaft beeinflusst. Ein Lehrer, der von 1975 bis 2018 im niedersächsischen Schuldienst tätig war, hat diese turbulente Entwicklung hautnah erlebt. Die Anpassungen des Bildungsanspruchs und die Vielzahl an Reformen – von G8 und G9 bis hin zu den ständigen Veränderungen in den curricularen Vorgaben – haben ihre Spuren hinterlassen.
Die Gymnasien im ländlichen Raum bieten einige Vorteile wie entspannte Lernumgebungen und respektvolle Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern. Diese Aspekte sind jedoch nicht überall gegeben, was zu erheblichem Druck auf die Lehrer führt, insbesondere an Schulen, die nicht das Gymnasium sind. Die Lehrkräfte sehen sich heute mit Problemen wie Disziplinlosigkeit und einem Rückgang des Sozialverhaltens konfrontiert. Das wirkt sich nicht nur auf den Unterricht, sondern auch auf die gesamte Schulkultur aus.
Wesentlich für die Qualität der Gymnasialausbildung sind jedoch die Vorleistungen, die in den Grundschulen erbracht werden. Diese bilden das Fundament des deutschen Bildungssystems und müssen daher personell und finanziell besser ausgestattet werden, um den Herausforderungen gewachsen zu sein. Es mangelt oft an Sprachkenntnissen, was zu den Defiziten in höheren Klassenstufen führt.
Ein Grundschüler sollte bereits bei der Einschulung über grundlegende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen. Sprachkurse in Kitas oder Vorschulen könnten hier eine sinnvolle Lösung anbieten. Für die gesamten vier Jahre in der Grundschule sollten diese Defizite angepackt und idealerweise ein verpflichtendes Ganztagsangebot geschaffen werden.
Notwendige Reformen für das Gymnasium
Ein weiteres großes Problem stellt die Nivellierung der Anspruchsniveaus dar. Nach den ersten vier Schuljahren könnte man darüber nachdenken, Grundschulempfehlungen für weiterführende Schulen als verbindlich zu betrachten. Bei Widersprüchen seitens der Eltern könnte eine Testwoche als Lösung dienen. Hauptsächlich sollte der Zugang zum Gymnasium von den individuellen Fähigkeiten der Kinder abhängen, nicht von ihrer sozialen Herkunft.
Die gesellschaftliche Welle, dass nur ein Abitur den Menschen erfolgreich ins Leben führt, führt zu Überlastungen in den Schulen. Kinder, die eigentlich nicht in der Lage sind, den Anforderungen des Gymnasiums gerecht zu werden, landen dort und es entsteht Frustration, die auch die Lernbedingungen für andere Schüler negativ beeinflusst. In Rotenburg (Wümme) beispielsweise können Schüler das Abitur nicht nur am klassischen Ratsgymnasium erwerben, sondern auch an Berufsbildenden Schulen oder an der Integrierten Gesamtschule (IGS), was zur Überlastung des Systems beiträgt.
Fünf grundlegende Vorschläge sorgen für mehr Klarheit und Qualität in den Schulen: Der 30-Prozent-Erlass, der mangelhafte Leistungen bei Prüfungen nicht wertet, sollte abgeschafft werden. Lehrer müssen wieder ermutigt werden, schlechte Leistungen auch angemessen zu bewerten und nicht vor dem Elternstress zu kapitulieren. Auch die Schulbehörden sollten den Lehrern den Rücken stärken, wenn es Konflikte mit Eltern gibt.
Zusätzlich sollten zentrale Abiturprüfungen überdacht werden, da sie zur Nivellierung der Leistungsansprüche beigetragen haben. Ebenso sollten Universitäten Aufnahmeprüfungen einführen, um die Vergleichbarkeit und die tatsächliche Leistung zu gewährleisten. Es ist entscheidend, dass die Abiturnote wieder das widerspiegelt, was ein Schüler tatsächlich kann.
Die Überzeugung ist fest verankert, dass Schüler gefordert werden wollen und Spaß an der Leistung haben. Bildung sollte nicht nur eine theoretische Notenvergabe sein, sondern auch einen praktischen und motivierenden Aspekt haben, der den Schülern Freude am Lernen vermittelt. Friedhelm Horn, ein Lehrer mit 43 Jahren Erfahrung, betont die Dringlichkeit dieser Reformen für die Zukunft der Bildung in Deutschland.
– NAG