Im Kieler Bericht „Kriegstüchtig in Jahrzehnten“, verfasst von Guntram B. Wolff und anderen, wird das Defizit der militärischen Aufrüstung in Deutschland und Europa umfassend analysiert. Die Studie zeigt auf, wie die Rüstungskapazitäten im Kontext der aktuellen geopolitischen Bedrohungen durch Russland leiden. Insbesondere wird der drastische Rückgang der militärischen Bestände hervorgehoben: Von über 4.000 Kampfpanzern der Typen Leopard 1 und 2 im Jahr 1992 blieb bis 2021 nur noch ein Bestand von 339 Einheiten. Ähnliche Rückgänge wurden bei Haubitzen registriert, die von über 3.000 auf lediglich 120 Stück geschrumpft sind.
Diese gravierenden Reduktionen in den letzten Jahrzehnten sind nicht nur das Resultat des Friedens nach dem Kalten Krieg, sondern auch Ausdruck eines Verhaltens, dass sich aus der vermeintlichen Sicherheit der Zeit speiste. Dennoch zeigt der Bericht, dass trotz finanzieller Mittel nach dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine über ein Jahr verging, ehe nennenswerte Beschaffungsaufträge erteilt wurden.
Langsame Reaktion auf Bedrohungen
Die Zahlen sind alarmierend: Der Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Europa fiel von 2,3 Prozent bis 2014 auf weniger als 1,4 Prozent. Nach dem Beginn der russischen Aggression 2022 stieg er zwar wieder, erreichte aber 2024 gerade so die 2-Prozent-Marke. In Deutschland sank der Anteil von einem Höchstwert von 4,9 Prozent im Jahr 1963 auf 1,15 Prozent im Jahr 2014. Erst mit dem Sondervermögen kletterte dieser Wert 2024 auf 2,12 Prozent.
Ein weiteres zentrales Problem ist die Reaktion der Industrie auf diese unsicheren Rahmenbedingungen: Die Produktionskapazitäten in der Rüstungsindustrie wurden drastisch abgebaut, was bedeutet, dass selbst bei steigenden Aufträgen die Lieferzeiten in die Höhe schnellen. Der Kiel Bericht weist darauf hin, dass signifikante Stückzahlen erst ab 2026 zu erwarten sind. Dies liegt vor allem an den verkleinerten Kapazitäten, die nicht so schnell wiederhergestellt werden können.
Jahr | Anteil der Verteidigungsausgaben (%) |
1963 | 4,90 % |
2014 | 1,15 % |
2024 | 2,12 % |
In Deutschland verringerte sich zudem die Anzahl der Beschäftigten in der Rüstungsindustrie von 280.000 auf 100.000 in den 1990er Jahren. Nur rund 55.500 Menschen arbeiteten 2020 in der Branche, die Waffen, Kampfflugzeuge und Militärfahrzeuge im Werte von etwa 11,3 Milliarden Euro herstellte.
Die geringen Militärausgaben vor 2021 führten zu mehreren negativen Konsequenzen: Erstens blieben die Bestellungen begrenzt, was eine langsame Auffüllung der Bestände zur Folge hat. Zweitens wurden durch die spärlichen Bestellungen auch die Produktionskapazitäten minimiert. Drittens konnten durch die niedrigen Bestellmengen keine Größenvorteile erzielt werden, wodurch die Kosten pro Einheit in die Höhe schossen.
Vorschläge zur Bekämpfung der Problematik
Der Kiel Bericht führt an, dass die Investitionsausgaben in den letzten zehn Jahren im Einzelplan 14 des Bundeshaushalts dauerhaft niedrig waren. Während die NATO eine Quote von mindestens 20 Prozent empfiehlt, lag der Anteil in Deutschland zwischen 12 und 15 Prozent. Das Sondervermögen hat zwar zu einem Anstieg der Ausgaben geführt, aber der Konsolidierungsspielraum bleibt begrenzt. Eine Aufstockung des Verteidigungshaushalts ist zu erwarten, jedoch oft nur in langfristigen Plänen, was sich als unsicher erweist.
Sechs Punkte nennt der Kiel Report, die zur schnellen Verbesserung der Situation beitragen könnten: eine Erhöhung der Geschwindigkeit der Auftragsvergabe, eine signifikante Aufstockung des Budgets, eine Senkung der Kosten, eine Reform der Auftragsvergabe, die Förderung der technologischen Entwicklung und Investitionen. Der Forderung nach einer langfristigen Strategie steht die aktuelle Herangehensweise entgegen, die ad hoc und ohne nennenswerte Koordination ausfällt.
Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), äußerte sich ebenfalls zur Analyse des Berichts. Obwohl er die Darstellung als zutreffend bezeichnete, warnte er vor dem Eindruck einer langwierigen Rüstungswende. Atzpodien appelliert an die Politik, den Verteidigungshaushalt umgehend stark aufzustocken, um die für die deutsche Sicherheits- und Verteidigungsindustrie notwendige Grundlage zu schaffen, um schnellstmöglich reagieren zu können. Andernfalls könnte Deutschland die angestrebte „Kriegstüchtigkeit“ nur schwer erreichen.
Die Dringlichkeit dieser Thematik ist nicht zu übersehen, besonders in Anbetracht der gegenwärtigen geopolitischen Spannungen. Daher wird es entscheidend sein, wie Deutschland und Europa auf die Erkenntnisse des Kiel Reports reagieren und welche Maßnahmen kurzfristig umgesetzt werden.